Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
Züge sind wohl von Klagenfurt aus schon voll. Den Koffer würden wir dann eben aufgeben. Von Onkel Paul kam gestern ein sehr erschütternder Brief. Von Mariendorf, Lankritz und Steglitz sollen nicht mehr viel ganze Häuser stehen, Gaswerk ist völlig zerstört. Sie haben auch kein Licht und kein Wasser und die Gulaschkanone ist in Tätigkeit getreten. Sie haben keine Möglichkeit nach dem Stadtinneren zu fahren. Auf fahrenden Autos wird Trinkwasser verteilt und Lebensmittel verkauft. Fernzüge fahren nur noch bis Ludwigsfelde.
Eineinviertel Stunde hat der Bombenhagel gedauert. Hier unten oder vielmehr hier oben sind viele Berliner Klassen untergebracht. Von wem habt Ihr nun die Adresse in Mühlhausen, schriebst Du nicht von Frau Rank?
Gretel habe ich auch geschrieben. Was macht Heidi? Hat sie schon wieder Fortschritte gemacht? Doch sicher, ja! Geht nur öfters auch mal nach Elster. So wie es früher war wird es wohl auch nicht mehr sein. Kaffee gibt es nicht, Kuchen sicher auch nicht. Hier gibt es auch keinen Kuchen. Sonntag zum Nachtisch hatten wir ja eins bekommen. Am ersten Sonntag gab es Eis, sehr gut! Hier gibt es auch kein Schwein. Der Fleischer selbst darf für sich keinen Speck verwenden. Alles für Bombengeschädigte, das halten sie hier unten für selbstverständlich.
An Onkel Paul will ich nun noch schreiben, evtl. an Schlichts und will ich nun schließen. Also erhole Dich recht gut mit der Heidi. Zieht Euch der Witterung entsprechend an, denn nur nicht krank werden in der Erholung. Auch den Eltern gute Erholung und viele Grüße. Wer hat denn Eure Schlüssel?
Dir und Heidi herzlichen Gruß und Kuß
auch von Papa und Eurer Mutti
Leipzig, d. 8. 9. 43
Liebe Leni!
Wir sind heute, Mittwochfrüh, angekommen und fanden Deinen Brief im Kasten vor. Heute Morgen war herrliches Wetter, auch gestern auf der Reise war es prachtvoll. Heute regnet es. Ich habe Deine Schuhe heute Vormittag noch geholt und dieselben gleich als Brief abgeschickt. Da bekommst Du sie am schnellsten. Für Regenwetter ist das aber auch kein Schuh, da mußt Du künftig ein paar geschlossene Halbschuhe tragen, ohne Firlefanz, so daß man auch im Regenwetter spazieren gehen kann. Bei schönem Wetter ist es keine Kunst. Von Onkel Paul habe ich noch nichts wieder gehört. Auch Schlichts schweigen sich aus. Wenn Du mir etwas früher Hans seine Nummer mitgeteilt hättest, so hätte er früher schon Anschrift von mir bekommen. Ich vergesse ihn nicht, das müßte er eigentlich wissen, nur behalt ich die dumme Nummer nicht im Kopf. Hogg ihre Dresdner Adresse hatte ich auch vergessen. Unsere Karte von Klagenfurt hast Du nun inzwischen erhalten. Wir waren noch am Wörther See und haben uns die Stadt noch angesehen. 15 Uhr sind wir weggefahren und waren wir heute früh ½ 8 Uhr in Leipzig. Die Gläser sind noch alle zu. Ich werde Dir nicht noch einmal nach dort schreiben, denn es gibt nun eine Menge Arbeit. Hoffentlich habt Ihr noch schönes Wetter. Ich wünschte es von Herzen, schon der Kinder wegen, Dir natürlich auch. Soeben war Martin hier, sie haben eine katastrophale Fahrt hinter sich und Lisa schickte uns darauf ein Telegramm, unbedingt Klagenfurt abfahren. Was denkst Du wohl, was das für eine Fahrt mit Heidi geworden wäre. Ab Salzburg blieben Frauen mit Kinderwagen, weinenden Kleinkindern, teils viel Flüchtlinge, auf dem Bahnhof zurück. Die Zugschaffner sind machtlos, wie gesagt, es ist eine Katastrophe.
Martin hat inzwischen Gestellungsbefehl erhalten, übrigens alle Kohlenhändler, hat sich aber heute wieder zum Besten eingerenkt – für alle.
Mitgebracht hatten wir uns als Andenken ein halbes Pfund Speck, ein Stück Butter und ein Glas Honig. Preiselbeeren hat Papa ungefähr ein halbes Pfund gepflückt, es gibt in diesem Jahr keine, wenigstens in Kärnten nicht, da das Schneewasser fehlte. Wenn es bei Euch da unten keine gibt, so bringe Du nur tüchtig mit, die kannst Du im Koffer oder Korb unterbringen, die geben keine Flecken. Lieschen hatte sich auch ungefähr ein halbes Pfund gepflückt. In Leipzig sollen wohl zehn Flugzeuge gewesen sein. Ein Teil hält es für einen direkten Angriff, ein Teil für gestreute Flugzeuge. Das Paketpostamt in der Rohrteichstraße und das Fernsprechamt sind getroffen. Getroffen sind Augusten-, Tauchaer Straße, Mittelstraße. Die Kirche in Neustadt ist beschädigt, Wißmannstraße hat Schäden. Unter anderem sind vier Tote am Postamt zu verzeichnen. In München muß es schlimm gewesen
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