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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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vergessen worden.
    Alex schlich in den Flur. Nach links ging es ins Wohnzimmer. Auf dem Teppich sah er nasse Spuren. Sie ähnelten denen draußen im Schnee, die aus dem Wald herauskamen. Dann entdeckte er noch etwas anderes: die schmalen Sohlen eines Paars brauner Damenstiefel, deren Spitzen zur Decke zeigten.
    Es war Carla.
    Sie lag auf dem Rücken, die Arme weit über den Kopf ausgestreckt. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet, der Mund aufgerissen, so als hätte sie in den letzten Sekunden geschrien oder nicht genug Luft bekommen.
    Ihr Hals war eine einzige Wunde. Er war von einem Ohr bis zum anderen geöffnet. Sämtliches Blut war aus Carlas zierlichem Körper herausgelaufen und in den braunen Teppich gesickert. Die Lache war erschreckend groß. In der Hütte roch es intensiv nach Blut. Alex stellte fest, dass es noch nicht geronnen war. Ein dünner Strom sickerte immer noch aus der grässlichen Wunde am Hals.
    Mit einem langen Satz war er am Schreibtisch, bückte sich und zog die Glock aus dem Halfter unter der Tischplatte. Herumwirbeln und entsichern war eine einzige, fließende Bewegung.
    »Jördis!«, rief er.
    Eine Antwort bekam er nicht. Ihm wurde flau im Magen vor Angst.
    Die Möglichkeiten, sich in der Hütte zu verstecken, waren sehr begrenzt. Alex suchte zuerst in der Küche, doch da war niemand. Danach überprüfte er das Bad. Ebenfalls Fehlanzeige. Schließlich postierte er sich vor der geschlossenen Tür zum Schlafzimmer.
    Weil der Raum so eng war, ging die Tür nach außen auf. Er legte die linke Hand auf die Klinke und zielte mit der Glock auf das Türblatt. Doch dann verharrte er mitten in der Bewegung.
    War er vorbereitet auf das, was er dort drinnen vorfinden würde? Könnte er es ertragen, Jördis ebenfalls mit durchtrennter Kehle auf dem Bett liegen zu sehen?
    Nein, nein, nein, aber er hatte keine Wahl.
    Also drückte er die Klinke hinunter und riss die Tür auf.
    Hinter der Tür verbarg sich ein Dachgeschoss mit schrägen Wänden, in dem man nur in der Mitte aufrecht stehen konnte. Zwischen den offenen Balkenlagen waren die nackten Unterseiten der roten Tonpfannen zu sehen. Die einzelnen Pfannen waren mit Mörtel miteinander verbunden. Oben in der Spitze hatte der Staub vieler Jahre Spinnenweben in dicke, graue Netze verwandelt, vereinzelt hingen lange Fäden davon herunter. Die gemauerten Wände zweier Schornsteine zogen sich durch den langen, tiefen Raum, dessen Enden im Dunkel lagen. Fenster gab es nicht. Durch zwei Glaspfannen in der Mitte fiel milchiges Licht herein. Staubpartikel tanzten darin. Eine dieser Glaspfannen befand sich genau über einem Schaukelstuhl.
    Darin saß eine Leiche.
    Das Licht floss nicht über den nackten Körper, es schien in dem schrecklich zugerichteten, teilweise bis auf die Knochen offenen Fleisch zu versickern. Die Wunden waren frisch. Sie glänzten rosig-feucht, Flüssigkeit lief heraus und tropfte auf die staubigen Dielenbretter, in deren groben Poren sie versickerte. An den Unterarmen, die mit Kabelbinder an den Schaukelstuhl gefesselt waren und wo die Gewebeschicht naturgemäß besonders dünn war, waren Elle und Speiche zu erkennen. An beiden Knien ragten weiß die Kniescheiben hervor.
    Raserei, dachte Nele . Er hat die Kontrolle verloren.
    Sie und Anou standen nur einen Schritt von der schmalen Tür am Ende der Treppe entfernt. Die Leiche war aufrecht auf dem Schaukelstuhl positioniert, ihr Kopf mit einem Kabelbinder fixiert – sodass sie jeden, der den Dachboden betrat, aus zwei Metern Entfernung anstarrte. Selbst bei dem schlechten Licht war das noch zu nah, die Details zu krass, die Wucht des unerwarteten Anblicks zu heftig.
    Anou wandte sich würgend ab und lief die Treppe hinunter.
    Bei Nele war es anders. Ihr schnürte der Anblick des Opfers die Kehle zu, und zwar so stark, dass sie kaum noch Luft bekam. In den Mastställen war es schon schlimm gewesen, doch hier wurde das Grauen, das sie eigentlich noch gar nicht verarbeitet hatte, noch überboten. Daniela Gersteins Leiche war alt gewesen, trocken, von einer leichten Staubschicht überzogen, fast schon eine Mumie.
    Hier war alles frisch. Es roch sogar frisch nach Blut und Fleisch und Ausscheidungen. Außerdem war der Täter, vielleicht aus Zeitnot, nicht so vorsichtig vorgegangen wie noch bei Daniela. Er schien das Opfer mit Wasserstoffperoxid direkt aus dem Kanister übergossen zu haben.
    Kaum erträglich war der Anblick dessen, was einmal das Gesicht gewesen war. Keine Haut, nur noch Reste

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