Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
zusammengebissenen Zähnen, weil ihre Schultern scharfe Stiche aussendeten, brachte sie ihre Arme nach vorn. Die Haut an ihren Handgelenken sah schlimm aus, Blut quoll hervor, aber der Kabelbinder war fort.
Miriam begann zu lachen. Laut und hysterisch. Ein fremder, wilder Laut, der in dem gekachelten Schwimmbad widerhallte und fast wie Beifall klang.
Als der Anfall vorüber war, wischte sie sich die Tränen aus den Augen, löste den Knoten der Wäscheleine an ihren Fußgelenken und kämpfte sich auf die Beine. Dabei spürte sie, wie schwach sie mittlerweile war. Seit sie in seiner Gewalt war, hatte sie weder gegessen noch getrunken, abgesehen von dieser Flüssigkeit, die er ihr eingeflößt hatte.
Auf zitternden Beinen stand sie in der Mitte des riesigen, blauen Schwimmbeckens, über dessen Rand sie auch stehend nicht hinwegsehen konnte. Unsicher stakste sie auf die nächstgelegene Wand zu, und als sie direkt davorstand, erschien sie ihr unüberwindlich. Selbst mit ausgestreckten Armen erreichten ihre Fingerspitzen die Kante nicht. Sie ging ein paar Mal tief in die Hocke, spannte und entspannte die Beinmuskulatur und schüttelte ihre Arme. Schließlich fühlte sie sich bereit.
Aus der Hocke schnellte sie empor, streckte ihre Arme weit nach oben und erreichte schon beim ersten Sprung die obere Kante des Schwimmbeckens. Ihre Finger klammerten sich daran. Sie wollte sich hochziehen, doch schon nach wenigen Zentimetern versagten ihre Arme, die doch eigentlich für mindestens zehn Klimmzüge gut waren.
Sie fiel und ließ sich auf die Knie sinken.
Ihre Arme fühlten sich an wie taube Stöcke. So würde sie es niemals schaffen.
Miriam überlegte einen Moment. Dann drehte sie sich um und begann mit Liegestützen. Ganz langsam und zunächst die Damenvariante auf den Knien. Bei dem ersten zitterten ihre Arme noch, dann wurde es besser. Nach der zehnten hörte sie auf und dehnte und streckte ihre Schultermuskulatur. Es wären wohl noch drei oder vier möglich gewesen, aber sie musste sich Kraft aufsparen für den einen, alles entscheidenden Klimmzug.
Sie stand auf und begann, durch das Schwimmbecken zu laufen. Dabei blieb ihr Blick an dem Abfluss in der Mitte des Beckens hängen, der ringsherum mit Blut verschmiert war. Ein grausiger Anblick. Es sah so aus, als wäre jemand durch dieses kleine Loch in den Boden gesogen worden.
Nach einigen Minuten Lauferei begab Miriam sich erneut an die Wand. Aufrecht und gerade stand sie davor, den Kopf in den Nacken gelegt, den Blick auf ihr Ziel gerichtet. Durch Schütteln lockerte sie ihre Arme und Beine. Schließlich war sie soweit.
In die Hocke.
Konzentration.
Alles hineinlegen in diesen einen Sprung.
Jetzt. Hoch. Zugreifen. Packen, so fest es nur ging.
Ziehen, Ziehen, Ziehen.
Miriam zog, schrie dabei, strengte sich an wie noch nie zuvor in ihrem Leben, ihre nackten Füße schrappten an der glatten Wand entlang, sie kämpfte, fluchte und zerrte, ihr Kinn überwand die Kante, noch ein Stück, ein kleines Stück, weiter, weiter … Jetzt, sie konnte einen Ellenbogen auf den Rand legen. Ab da ging es leichter, und kurz darauf lag Miriam oben neben dem Schwimmbecken auf dem Bauch.
Es dauerte eine Weile, ehe sie wenigstens den Kopf heben und sich umschauen konnte.
Sie schätzte, dass die Schwimmhalle mindestens dreißig Meter lang war. Sie lag auf der Seite des Raums, wo sich oben in der gelben Backsteinwand die Fensterleiste befand. Auf der anderen Seite bestand die Wand aus Holzplatten. Miriam brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Holzwand nachträglich eingebaut worden war und sich dahinter wahrscheinlich eine weitere Fensterfront befand.
Auf Knien krabbelte sie vom Becken fort und nutzte die Wand als Hilfe, um aufzustehen. Ihr Körper zitterte heftig. Mit dem Rücken an die Mauer gelehnt sah sie sich um. Auf der anderen Seite des Beckens lagen die Leiter, der gelbe Druckbehälter und die schwarze Stofftasche.
Er hatte seine Ausrüstung da gelassen, also würde er zurückkehren, um fortzusetzen, was er begonnen hatte.
Verdammter Irrer!
Während Miriam sich an der Wand entlangschob, kehrte wieder ein bisschen Kraft in ihren Körper zurück. Genug, um zur anderen Seite des Beckens hinüberzugehen und einen Blick in die Tasche zu werfen.
Darin befanden sich das Cuttermesser, das sie schon kannte, ein langer Schraubenzieher, ein paar Arbeitshandschuhe, ein noch verpackter Maleranzug, wie er ihn unten im Becken getragen hatte, und ihre Kleidung.
Miriam holte
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