Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
störrischer Privatschnüffler, der sich für Humphrey Bogart hielt. Sie wollte Miriam Singer finden, bevor der Täter sie mit seinem Wasserstoffperoxid behandelte. Sie wollte endlich Schluss machen mit dieser ganzen beschissenen Grausamkeit auf der Welt, kam sich aber vor, als renne sie immer nur mit dem Kopf gegen eine Wand. War sie denn die einzige, die sah, dass alles den Bach hinunterging?
Eine Achtzehnjährige!
Ein Mädchen am Beginn ihres Lebens. Alles hatte noch vor ihr gelegen. Abenteuer, Liebe, Familie, eigene Kinder. Alle Träume ausgelöscht mit einer ätzenden Flüssigkeit und der puren Lust am Töten.
Nele genoss zwar das Gefühl der kreisenden Finger an ihren Schläfen, zugleich war ihr aber auch bewusst, dass sie für so etwas keine Zeit hatte. Für nichts hatte sie Zeit, außer für den Abschaum der Gesellschaft.
Wobei – war das wirklich der Abschaum der Gesellschaft, gegen den sie kämpfte? War es nicht eher die Gesellschaft selbst? Aus ihrer Mitte gingen diese Bestien hervor, blitzten für einen Moment in ihrer Grausamkeit auf wie Sternschnuppen am nächtlichen Himmel, bevor sie wieder in das schützende Dunkel der Normalität abtauchten. Bevor sie wieder Ehemann, Vater und netter Nachbar wurden.
Nele musste an das Seminar zurückdenken. Vier von hundert. Eine Legion, allein auf die Einwohnerzahl Deutschlands bezogen. Und es kostete so verdammt viel Kraft, nur einen Einzigen von ihnen zu finden.
»Danke«, sagte sie, rutschte ein Stück nach vorn und beendete damit den intimen Moment.
Anou ging neben ihr in die Hocke. »Es tut mir leid, wegen all dem … Na ja, du weißt schon.«
»Schon okay.«
»Nein, ist es nicht. Wir sollten über so etwas sprechen können wie Erwachsene, aber das konnte ich nicht. Ich werde mich ändern, versprochen.«
Nele nickte. »Okay.«
Anou erhob sich. »Ich hole Kaffee, du überprüfst den sauberen Herrn Seitz, und dann knöpfen wir ihn uns gemeinsam vor.«
Nele ordnete ihr Haar, atmete tief durch und ließ dann den PC nach Informationen über Alexander Seitz suchen. Die Suche dauerte keine fünf Sekunden und bescherte ihr eine Überraschung. Die Polizeiakte war gesperrt. Sie brauchte eine Freigabe vom Staatsanwalt, um sie lesen zu können – oder vom Polizeichef.
Schon wieder eine Verzögerung.
Nele griff zum Telefon. Sie erreichte Dag Hendrik in seinem Büro und erklärte ihm das Problem.
»Alexander Seitz«, sagte Dag, und Nele konnte deutlich hören, dass ihm der Name nicht unbekannt war. »Komm rüber. Wir reden hier.«
»Soll Anou …«
»Nein. Komm allein.«
Nele legte auf. Sie war verwirrt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Dag Hendrik war fast zwanzig Jahre länger im Polizeidienst als sie, davon allein acht Jahre länger in diesem Präsidium. Hatte es vor ihrer Zeit schon einen Fall gegeben, in den Alexander Seitz involviert gewesen war? Aber warum diese Geheimniskrämerei?
Auf dem Gang begegnete ihr Anou mit drei Kaffeebechern in den Händen.
»Warte noch«, sagte Nele. »Ich muss zu Hendrik. Es gibt Probleme mit Seitz.«
Anou sah ihr verständnislos nach, während sie den Gang hinuntereilte und durch das Treppenhaus ein Stockwerk höher lief.
Hendrik hielt ihr bereits die Tür auf.
Sein Blick war ernst. »Setz dich. Möchtest du etwas trinken?«
Nele lehnte ab, obwohl sie Durst verspürte. Aber sie wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. »Ich muss diesen Mann vernehmen. Wenn ich keine Verbindung zwischen der Gerstein und Miriam Singer finde, sehe ich schwarz für die Frau.«
Dag nickte und sah sie an. »Alles, was wir jetzt besprechen, bleibt unter uns.«
»Aber ich muss wenigstens mein Team einweihen.«
Dag schüttelte den Kopf. »Nein. Kommt nicht in Frage. Nicht mal ich habe eine Freigabe für die Akte Seitz.«
»Wie bitte? Wer dann?«
»Das Ministerium fürs Innere.«
»Scheiße«, entfuhr es Nele. »Ist der Kerl im Zeugenschutzprogramm, oder was?«
»Es ist Zufall, dass ich etwas darüber weiß«, begann Dag Hendrik. »Ich war damals zum BKA versetzt. Seitz ebenfalls.«
»Er ist ein BKA-Mann?«
»Ein ehemaliger. Ist seit … Wie lange … Ich glaube, seit sechs Jahren raus. Es überrascht mich aber nicht, dass er als Detektiv arbeitet. Alles andere wäre auch Verschwendung von Talent. Seitz ist ein hervorragender Ermittler.«
»Und was ist passiert?«
»Ich war nicht dabei, kenne die Geschichte also nur vom Hörensagen, aber in bestimmten Kreisen hat es damals die Runde gemacht. Also wird schon etwas dran sein,
Weitere Kostenlose Bücher