Bleischwer
denn?«
»Keine
Ahnung«, wiegelte sie ab, nervös geworden. »Das hat er nicht gesagt.«
Der
Anwalt lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Triumphierend? Erleichtert? Sie konnte es nicht deuten.
»Aha«,
erwiderte er. »Er weiß es wohl selbst nicht. Entbehrt ja auch jeder Grundlage.
Aber ich kann dir sagen, warum du dich nicht mit einem wie Faßbinder einlassen
solltest.« Jetzt lächelte er boshaft. »Ich weiß einiges über den Typ.
Dienstlich sozusagen. Ist vorbestraft wegen Gewalt-und Eigentumsdelikten. Ein
Dieb und Schläger. Versagertyp. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.«
Abfällig
streifte sein Blick den Mann an der Theke.
Jule
schluckte. Konnte das sein? Sie dachte die Unterhaltung im Mobilheim zurück.
Was Michael von seinem Leben erzählt und was er weggelassen hatte. Der Mann
hatte laut Peter eine kriminelle Vergangenheit. Es passte natürlich. Michaels
Zurückgezogenheit, sein Drang nach Ordnung, Routine und freiem Blick. Die
Schweigsamkeit. Das Trinken.
Und
plötzlich packte sie eine schreckliche Wut. Eine Wut auf die Arroganz und die
Überheblichkeit eines Peter Odenthal, der Glück, Reichtum und Erfolg wie
selbstverständlich hinnahm. Als stünde all das ihm von Rechts wegen zu.
»Nein,
mehr brauchst du nicht zu sagen«, sagte sie leise. »Ich kenne Michael und ich
mag ihn. Er ist hilfsbereit, freundlich und zuverlässig. Darüber hinaus muss
ich nichts über ihn wissen. Und jetzt würde ich gern zahlen.«
Wenige Minuten später stiefelte
sie eilig durch den Schnee, immer mindestens einen Meter vor Odenthal.
»Jule«,
bat der zum wiederholten Mal. »Warte auf mich. Sei nicht sauer. Ich mache mir
doch nur Sorgen um dich. Passe an Jörgs Stelle ein bisschen auf dich auf. Bitte … « Er
holte auf und berührte sie leicht am Arm. Wie angewurzelt blieb sie stehen und
wandte ihm das Gesicht zu.
»Ich
brauche keinen Aufpasser«, empörte sie sich. »Und auch keinen, der mir
vorschreibt, mit wem ich mich abgebe! Und jetzt lass mich in Ruhe!« Sie holte
tief Luft und fuhr etwas freundlicher fort: »Ich danke dir für das Essen und
deine Bemühungen, Peter. Gute Nacht.«
So
schnell sie konnte, ging sie davon, an den Mülltonnen vorbei. Und zum ersten
Mal kam ihr der Gedanke, dass es Peter Odenthal gewesen sein könnte, mit dem
Michael Faßbinder sich gestern Abend hier gestritten hatte. Die Stimme des
Mannes hatte zwar anders geklungen, hart, metallisch, nicht melodiös wie
Peters. Aber wer weiß, wie er sich anhörte, wenn er richtig in Rage war.
Der Schnee auf dem Grundstück
war zertreten. Klar, es hatte seit Stunden nicht mehr geschneit. Jule tappte in
völliger Dunkelheit durch den Anbau und wollte gerade vor der Eingangstür des
Wohnwagens die Stiefel abstreifen, um in die Hausschuhe zu schlüpfen, als
jemand sie von hinten packte und ihr einen Arm um den Hals schlang. Gleichzeitig
fühlte sie etwas Hartes an den Rippen.
»Maul
halten und reingehen!«, zischte eine männliche Stimme in ihr Ohr. Der Schock
ließ sie fast ohnmächtig werden. Ihr ganzer Körper begann zu zittern und die
Knie gaben nach.
»Komm
schon. Sonst knall ich dich ab.«
Bebend
setzte sie sich in Bewegung. Der Mann schob sie nach vorn. Es dauerte eine
Weile, bis sie den passenden Schlüssel fand und es schaffte, damit das
Türschloss zu treffen. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stieß er sie über das
Trittbrett nach drinnen. Als sie stolperte und gegen den Tisch prallte, schoss
ihr der Schmerz in den lädierten Rücken. Ihr kamen die Tränen. Sie hörte die
Wohnwagentür zuknallen.
»Mach
Licht!«, kommandierte der Fremde.
Ihre
Finger suchten nach dem Schalter und fanden ihn endlich.
»Hinsetzen!«
Sie
gehorchte und sank auf das Polster der Rundsitzecke. Dann blinzelte sie in die
grelle Helligkeit des Deckenstrahlers und starrte den Mann an, der sie mit
einer glänzenden Schusswaffe bedrohte. Er sah völlig heruntergekommen aus.
Dreckige Klamotten, unrasiert, eingefallene Wangen. Sein Blick war der eines
gehetzten Tieres. Trotzdem erkannte sie ihn sofort. Stefan Winter, kein
Zweifel.
»Mantel
aus!«
Bekräftigend
wedelte er mit der Pistole.
Ungelenk
schälte Jule sich aus dem Kleidungsstück und ließ ihn unter den Tisch fallen.
»Hände
vorstrecken! Wird’s bald?«
Seine
Stimme klang monoton, erschöpft. Er war offenbar am Ende seiner Kräfte.
Gehorsam hielt sie ihm die Arme hin. Er griff mit der linken Hand in die Tasche
seiner Lederjacke und holte einen langen
Weitere Kostenlose Bücher