Bleischwer
er
immer noch die Waffe.
»Im
Schrank steht eine offene Weinflasche«, beeilte Jule sich zu antworten, »und im
Kühlschrank ist Chili con Carne von gestern.«
Ohne
seine beiden Gefangenen aus den Augen zu lassen, öffnete Stefan Winter erst den
Vorratsschrank, dann den kleinen Kühlschrank darunter. Den Wein trank er direkt
aus der Flasche, das Chili aß er kalt aus der Tupperschüssel mit einem Löffel,
der in der Spüle gelegen hatte. Einige Minuten herrschte angespanntes Schweigen
im Wohnwagen.
»Gut«, sagte
Winter schließlich. »Schon besser.« Er betrachtete Michael aufmerksam und
nickte leicht. »Und jetzt sagst du mir, Kumpel, wo mein Anteil der Beute ist,
wegen dem ich über die Hälfte meines Lebens im Knast gesessen habe.«
Auch
Jule sah Michael gespannt an. Nichts als Verwirrung stand in sein Gesicht
geschrieben. Es schaute kurz zu Jule, dann zurück zu seinem Jugendfreund.
»Da, wo
das Zeug seit 25 Jahren
ist«, antwortete er erstaunt. »Den Hinweis auf das Versteck habe ich Sonja
damals direkt nach deiner Verhaftung gegeben. Anonym. Weil sie doch nicht
wissen sollte, dass wir das Ding zusammen … Ich
habe nichts angerührt, bis auf die paar Tausend, die ich mit nach
Süddeutschland genommen habe.«
»Verarsch
mich nicht!« Genau den Satz hatte Stefan vorhin Jule hingeworfen. »Es ist alles
weg. Unter dem Stein am Weinstock ist nichts. Nur eine leere Blechdose.«
Wieder
huschte Michaels Blick zu Jule hinüber, während er nervös auf seiner Unterlippe
herumkaute.
»Keine
Sorge«, entfuhr es ihr bissig. »Mir ist inzwischen klar, welche Rolle du bei
dem Banküberfall damals gespielt hast. Du brauchst nicht um den heißen Brei
herumzureden!«
»Jule!«,
bat er inständig. »Ich war danach sauber, wirklich! Und ich bin es bis heute.«
Stefan
schnaubte. »Erzähl keine Scheiße!«, widersprach er heftig. »Ich weiß, dass du
die letzten Jahre eingesessen hast. Bochum-Krümmede. Schwere Körperverletzung.
Wusste gar nicht, dass du schon draußen bist.«
»Bewährung.«
Michael sagte es leise und wagte nun nicht mehr, Jule anzusehen. »Gerti und
Hermann geben mir hier im ›Eifelwind‹ eine echte Chance. Verdammt, Stefan, ich
habe das Zeug nicht! Ich dachte, es sei noch in dieser Dose unter dem Stein.
Ehrlich!«
Stefan
trat vor und hielt Michael die Waffe an die Stirn. Es klickte, als er sie
entsicherte.
»Hör
auf, mir Märchen zu erzählen«, zischte er.
»Ich
lüge nicht.« Michael sprach klar und bestimmt, sodass Jule ihm seine Worte
sofort abnahm. »Ich habe es nicht. Und ich will es auch nicht!«
Stefan
trat einen Schritt zurück. Seine Hände zitterten. »Wo ist es dann?«, flüsterte
er. »Wenn ich es nicht finde, war die ganze Flucht umsonst!« Jule hörte
abgrundtiefe Verzweiflung heraus. »Wer weiß noch von dem Gedicht?«
»Was
hast du mit dem Geld vor, Stefan?« Die Frage war ihr herausgerutscht, bevor sie
sie zurückhalten konnte. Ebenso wie sie den flüchtigen Verbrecher unwillkürlich
beim Vornamen genannt hatte. Irgendetwas im Verhalten des Mannes rührte sie,
trotz aller Gefahr und Gewalt, die von ihm ausging. Warum und was, vermochte
sie nicht zu greifen.
Überrascht
nahm er Jule in den Fokus und blinzelte kurz, bevor er frustriert entgegnete:
»Ich wollte ein Leben retten. Verrückt, was?«
Verblüfft
starrten Jule und Michael den zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit
anschließender Sicherungsverwahrung verurteilten Mörder an.
Die Geschichte war schnell
erzählt. Stefan berichtete mit monotoner Stimme. Vor seiner Verhaftung und
Verurteilung war er mit Sonja Pütz, deren Großeltern hier in Steinbach lebten,
verlobt gewesen. Als er nach dem Bankraub festgenommen wurde, hatte sie sich
von ihm getrennt und auf keinen seiner Briefe geantwortet.
Dann,
nach über 24 Jahren, schrieb sie plötzlich. In der Zwischenzeit hatte sie
geheiratet, war aber bereits wieder geschieden. Kinderlos. Und Sonja war krank.
Sterbenskrank. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Erkrankung hatte sie bewogen,
Kontakt mit Stefan aufzunehmen. Um mit ihrer Vergangenheit aufzuräumen und sich
zu verabschieden, wie sie sagte. Und Stefan war froh, wieder mit ihr in
Verbindung zu stehen. Nach der langen Zeit in Haft und den Verschubungen alle
paar Jahre in eine andere JVA hatte er keine Kontakte mehr nach draußen. Und
Sonja war seine große Liebe gewesen. Er schrieb ihr regelmäßig, nun antwortete
sie, und irgendwann kam sie sogar zu Besuch in die JVA Ossendorf. Da sah sie schon
schlecht aus. Die
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