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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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schwarzen Kabelbinder hervor. Jule
erkannte sofort, dass es einer von ihren eigenen war, aus dem Regal im Anbau.
Sie benutzte die Dinger zur Befestigung von Zweigen an den Rankgittern. Der
Mann legte die Waffe auf die Küchenarbeitsfläche – zu
weit von ihr weg! – und schlang den Kabelbinder um ihre Handgelenke. Mit einem Ruck
zog er den Kunststoffstreifen zu, so fest, dass er die Haut einschnürte.
Ritsch. Gefesselt.
    Jetzt
ließ er sich ihr gegenüber auf die schmale Bank fallen. Die Waffe legte er auf
seinen Schoß. Müde sah er sie an.
    »Wo ist
das Zeug?«, fragte Stefan Winter. »Wo ist mein Eigentum?«
    Und
dann tat er etwas sehr Merkwürdiges. Er legte die Stirn in konzentrierte
Falten, taxierte Jule mit harten Augen und sprach in feierlichem Singsang:
     
    »So
wird es sein,
    mein
Kind.
    Wir
werden alt,
    Der
Winter ist kalt,

doch
der Eifelwind

streift
durch den Maiwald

und
raschelt im Wein
    über
dem Moos am Stein.«
     
    Ihre erste Reaktion war Panik.
Der Mann schien verrückt zu sein. Komplett durchgedreht. Wozu rezitierte er ein
Gedicht? Und noch dazu eins, das dermaßen wenig Sinn ergab? Das sich genauso
stumpfsinnig anhörte wie die Sprüche, die Hermann in seiner Kneipe sammelte?
    Aber
dann begann sie trotz aller Furcht nachzudenken. Stefan Winter sah ganz und gar
nicht aus wie ein Verrückter. Sein Blick war bohrend und durchdringend, aber
keineswegs irre.
    »Moos«,
wiederholte er jetzt und ließ sie nicht aus den Augen. »Was hast du mit der
Beute gemacht?«
    »Ich
hab keine Ahnung, wovon Sie reden«, stotterte sie und begann doch, eine leise
Ahnung zu entwickeln.
    »Verarsch
mich nicht«, warnte sie der Mann scharf. »Eifelwind, Maiwald, Wein, Moos,
Stein. Alles passt, sogar der Hinweis auf meinen Namen: Winter. Ich war zwar
lange im Bau, aber total verblödet bin ich dort nicht. Ich hab an der Stelle
gegraben, aber da war nur eine leere Blechdose.«
    Und da
begriff sie. Das Gedicht beschrieb das Versteck des Geldes aus dem Euskirchener
Bankraub. Klar, was sonst?
    »Du
bist doch eine Maiwald? Und diesen Dauerstellplatz haben schon deine Großeltern
gehabt, stimmt’s? Ich kannte sie, weißt du? Als Kind war ich ein paar Mal mit
einem Freund hier im ›Eifelwind‹ … «
    Jule
nickte. »Michael Faßbinder, ja, das hat er mir erzählt.«
    Durch
Stefan Winters Körper ging ein Ruck. Er kniff kurz die Augen zusammen.
    »Wann?
Wann hat er dir das erzählt?«
    Kurz
zögerte sie, dann fasste sie einen Entschluss. Offen sah sie dem flüchtigen
Mörder in die Augen und antwortete mit fester Stimme: »Gestern. Gestern
Nachmittag hat er mir gestanden, dass ihr euch kennt. Er arbeitet seit ein paar
Monaten auf dem Campingplatz. Als Mädchen für alles.«
    Winter
starrte sie erst fassungslos an, anschließend schaute er an ihr vorbei in eine
Ferne, die nur er sah.
    »Er ist
hier«, murmelte er wie zu sich selbst. »Dann hat er die Beute.«
    Jule
fuhr erschrocken zusammen und plötzlich kapierte sie, wer der zweite Mann bei
dem Bankraub damals gewesen sein musste. Im gleichen Moment klopfte es an der
Wohnwagentür.
    »Jule?
Bist du da?«
    Micha!
Einem Reflex gleich wurde sie von Erleichterung überflutet. Michael würde sie
retten. Doch im nächsten Augenblick erreichte die Erkenntnis ihr Hirn, es
plötzlich statt mit einem mit zwei Verbrechern zu tun zu haben. Die Angst
schnürte ihr die Kehle zu.
    Stefan
Winter reagierte besonnener. Er stand auf und postierte sich neben dem Eingang,
die Waffe im Anschlag.
    »Ruf
ihn rein«, raunte er.
    Jule
nickte ängstlich und räusperte sich.
    »Micha?
Bist du es?«, fragte sie mit dünnem Stimmchen. »Komm einfach rein.«
    Dann
ging alles ganz schnell. Michael Faßbinder öffnete die Wohnwagentür und stieg
über den Tritt ins Innere des Caravans. Sofort hielt Winter ihm die Pistole an
den Kopf.
    Mit
nüchterner Stimme wies er den Neuankömmling an. »Mach keinen Scheiß, Micha, und
setz dich.«
    Der
gehorchte perplex, und Sekunden später war auch er mit einem von Jules
Kabelbindern gefesselt.
    Es war
nicht zu übersehen, wie ausgezehrt Stefan Winter war. Er schwankte leicht,
bevor er sich an die winzige Küchenzeile lehnte.
    »Stefan!«,
begehrte Michael auf. »Was soll das?«
    Der
Angesprochene schnitt ihm das Wort ab. »Halt’s Maul, ich muss nachdenken.«
Dann, an Jule gewandt: »Hast du was zu trinken für mich? Alkohol? Und was zu
essen? Hab lange nichts mehr gekriegt.«
    Mit der
freien Hand wischte er sich über die Stirn, mit der anderen umklammerte

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