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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Krankenhaus ist … «
    »Wie
lange denn schon? Ich hatte keine Ahnung.«
    »Mindestens
ein halbes Jahr, aber sie trägt den Nachnamen ihres Exmannes. Deshalb hast du
es vielleicht nicht mitgekriegt. Außerdem hat sie sich total verändert. Wegen
der Chemo. Ist abgemagert, hat kurzes dunkles Haar anstatt der blonden Mähne
von früher. Du würdest sie auf der Straße nicht wieder erkennen.« Stefan
lächelte traurig. »Nur ihre Augen sind dieselben. Ich hab mich sofort neu in
sie verliebt, ich Idiot.«
    Plötzlich
drehte er sich um und öffnete eine der Schubladen. Als er sich Michael und Jule
zuwendete, hielt er ein Küchenmesser in der Hand.
    »Streck
deine Hände vor«, wies er den alten Freund an. »Ich glaub dir, dass du zu mir
stehst.« Mit einem Ruck durchtrennte er den Kabelbinder. Michael atmete
erleichtert auf und rieb sich Handgelenke.
    »Danke,
Kumpel. Und was ist mit Jule?«
    Stefan
schüttelte den Kopf. »Nein, die hab ich lieber noch unter Kontrolle. Sorry,
Mädchen.« Er sah sie unsicher an und zuckte mit den Achseln. »Du bist eine von
der anderen Seite. Zu gefährlich.«
    Eine
von der anderen Seite. Jule schluckte. Unwillkürlich fühlte sie sich wie eine
Aussätzige, schmutzig und schlecht. Moment mal. Was passierte hier? Moralische
Grundsätze verdrehten sich ins Gegenteil. Aus gut wurde böse, aus böse gut.
Zorn stieg in ihr hoch. Was bildete dieser Verbrecher sich ein? Gerade wollte
sie zu einer Erwiderung ansetzen, als sie mitbekam, wie Stefan zu Michael
sagte:
    »Ich
werde noch mal versuchen, zu Sonja zu durchzukommen. Du hast recht, ich muss
mit ihr sprechen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
    »Oder
du vergisst das Geld und den anderen Kram, und ich schaffe dich mit dem Auto
aus der Eifel raus«, drängte Michael noch einmal.
    Stefan
schüttelte eigensinnig den Kopf. »Nein. Das macht keinen Sinn. Aber einen
Gefallen kannst du mir trotzdem tun … «
    »Ja?«
    »Halt
diese Frau hier … «, er nickte in Jules Richtung, »… davon ab, zu den Bullen zu rennen. Bis morgen mindestens.
Versprichst du mir das?« Nun sah er Michael eindringlich in die Augen.
»Ansonsten müsste ich sie als Geisel mitnehmen … oder
sofort abknallen.«
    Michael
wehrte sofort erschrocken ab. »Nein, nein. Schon gut. Ich sorg dafür, dass sie
keine Scheiße baut. Du kannst dich auf mich verlassen.«
    Jule
schnappte empört nach Luft. Andererseits fiel ihr ein Stein vom Herzen. Es sah
so aus, als würde sie mit einem blauen Auge davonkommen.
    Stefan
Winter ging auf die Wohnwagentür zu. Die Waffe steckte er gangstermäßig in den
Hosenbund, nicht, ohne sie zuvor zu sichern.
    »Okay,
ich bin dann mal weg.«
    Seine
Stimme klang belegt. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er Angst hatte.
Panische Angst, sich in eine feindliche Welt zu wagen, die darauf erpicht war,
ihn entweder unter Waffengewalt einzufangen oder im Zweifel niederzuschießen.
    »Stefan?«
Das kam von Michael. Leise.
    »Ja?«
    Michael
stand auf und trat zu seinem Freund. Unbeholfen umarmte er ihn.
    »Mach’s
gut und viel Glück«, murmelte er. »Pass auf dich auf.«
    Stefan
drückte ihn kurz an sich. Wortlos.
    Dann
klappte die Wohnwagentür, und die Dunkelheit verschlang den entflohenen
Häftling.
     
    Einige Minuten lang herrschte
Schweigen. Michael Faßbinder hatte sich wieder hingesetzt. Er vermied es, Jule
anzusehen. Die war zu verwirrt, um irgend etwas tun zu können. Sie saß da wie
paralysiert und starrte auf ihre gefesselten Hände. Die ganze Situation kam ihr
allzu absurd vor. Irreal. Fast lächerlich. Trotzdem war ihr nicht zum Lachen
zumute. Konnte sie Michael noch trauen? Wem galt seine Loyalität? Dem
Jugendfreund und verurteilten Mörder oder ihr, einer fast Fremden. Würde er sie
hier in ihrem eigenen Wohnwagen gefangen halten oder würde er sie freilassen?
    In dem
Moment sprang er auf. Sie traute sich nicht aufzuschauen. Da war er auch schon
bei ihr und beugte sich vor. Mit schneller Bewegung durchschnitt er den
Kabelbinder um ihre Handgelenke. Anschließend postierte er sich an derselben
Stelle vor der Küchenzeile, an der vor wenigen Augenblicken noch Stefan Winter
gestanden hatte.
    »Wie
geht es dir?«, fragte er leise.
    Endlich
sah sie auf. Sie entdeckte nur Sorge in seiner Mimik.
    »Es
geht schon.«
    Im
gleichen Moment begann ihr Körper zu zittern. Es fing bei den Fingern an,
ergriff Arme und Torso und ging in Oberschenkel und Knie über. Zum Schluss
klapperten sogar ihre Zähne.
    »Trink!«
Er reichte ihr die

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