Bleischwer
Haus
von Jürgen Bohr in Bad Münstereifel gemeldet gewesen. Niemand war daher nach
Winters Ausbruch auf die Idee gekommen, Sonja Bohr in Steinbach zu observieren
oder den Zusammenhang zwischen ihr und dem Flüchtigen herzustellen. Auch die
Tatsache, dass sie unter dem Namen ihres Mannes lebte, hatte die Ermittlungen
behindert. Wer wusste schon, dass Sonja Pütz, die Exverlobte Winters, und Sonja
Bohr ein und dieselbe Person waren? Jule wurde klar, dass Stefans Ausbruch von
langer Hand geplant worden sein musste.
Nachdenklich
betrachtete sie den Haufen Papier vor sich. Die unterschiedlichen Absender
waren auf den ersten Blick zu erkennen. Stefan Winter schrieb lange Texte in
einen schrägen, engen Schrift auf dünnen DIN A4 Blättern. Frank Beckers
Mitteilungen waren völlig anderer Natur, nicht mehr als kurze Sätze voller
sexueller Anspielungen in hingeklotzten Druckbuchstaben auf Notizzetteln und
Papierfetzen. Es ging um Verabredungen zu heimlichen Treffen oder die
genüssliche Erinnerung an solche.
›Es war
mal wieder geil mit dir‹, hieß es zum Beispiel. ›Es macht mich an, dass du so
oft willst und so feucht bist. Ganz anders als du-weißt-schon-wer, die
Trockenpflaume. Lass es uns morgen wieder treiben. Ich komm zu dir‹. Der Zettel
war datiert auf den 14. Januar
dieses Jahres. Ein Brief Stefan Winters war genau einen Tag vorher verfasst
worden.
›Mein
Schatz, ich denke immer an dich‹, schrieb er. ›Tag und Nacht. Ich freue mich
auf deinen nächsten Besuch. Gestern hatte ich Ärger mit einem Schließer,
deshalb gibt es heute keinen Hofgang. Egal, solange ich weiß, dass du zu mir
stehst, ist alles gut. Du hast nach dem Gedicht gefragt und was es bedeutet. Ja,
ich kann damit etwas anfangen. Lass mich nur machen. Du kannst Dich auf mich
verlassen. Hab keine Angst … ‹. So ging es weiter,
seitenlang.
Jules
Hand krampfte sich mehr und mehr um den Brief, während ihre Augen über die
Zeilen flogen. Es stand wohl fest, dass Sonja Bohr ihren inhaftierten
Exverlobten lediglich ausgenutzt hatte. Geschickt hatte sie versucht, ihm das
Versteck der Beute zu entlocken. Ob es ihr am Ende gelungen war? Hatte Frank
Becker, der Dorfpolizist, bei diesen Plänen als Komplize fungiert?
»Weißt
du etwas über dieses seltsame Gedicht?«, fragte Melanie mitten in diese
Mutmaßungen hinein. Sie hielt einen Zettel in der Hand und deklarierte:
»So
wird es sein,
mein
Kind.
Wir
werden alt,
Der
Winter ist kalt,
doch
der Eifelwind
streift
durch den Maiwald
und
raschelt im Wein
über
dem Moos am Stein.«
»Ja«, bekannte Jule nach kurzem
Zögern. »Es bezeichnet das Versteck der Beute aus dem Euskirchener Bankraub.«
»Was?«
Melanies Augen wurden groß und rund. »Woher weißt du das?«
Jule
seufzte. Es half alles nichts. Sie musste mit der ganzen Wahrheit herausrücken.
»Michael
hat es mir erzählt. Er war der zweite Mann bei dem Überfall. Der, der flüchten
konnte, als Stefan angeschossen wurde. Er hat das Geld vergraben und für Sonja
das Gedicht verfasst. Sie sollte es Stefan bei einem ihrer Besuche in der JVA
aufsagen. Hat sie aber nicht, denn sie machte ja vorher mit ihm Schluss. Die
Sache mit dem Gedicht nahm sie damals wohl nicht für voll. Michael hatte es ihr
anonym per Post geschickt, damit sie nicht kapierte, dass er der gesuchte
Komplize war.«
Schweigen.
Melanie schien erst einmal verdauen zu müssen, was Jule ihr zu schlucken
gegeben hatte.
»Unglaublich!«,
brach es schließlich aus ihr heraus. Sie schüttelte die blond gesträhnte
Haarpracht. »Michael Faßbinder also … Dann
ging es Sonja von Anfang an bloß um die Beute, als sie mit Stefan Kontakt
aufnahm! Aber wo ist das Zeug nur?«
»Keine
Ahnung. Das Versteck ist auf jeden Fall leer. Und weder Micha noch Stefan haben
es ausgeräumt. Stefan war völlig verzweifelt, als er das feststellte. Was aber
noch viel schlimmer ist … « Jule musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Micha
ist weg. Ich hatte ihn heimlich in Driesch im Haus meiner Eltern – die
sind im Urlaub, weißt du – untergebracht. Jetzt ist da nur noch ein Blutfleck auf dem
Teppich.«
Und
dann konnte sie nicht mehr. Ungebremst liefen ihr die Tränen übers Gesicht.
Angst und Sorge überschwemmten sie.
Melanie
strich ihr unentwegt über den bebenden Rücken.
»Es
wird ihm schon nichts passiert sein«, murmelte sie mehr hilflos als überzeugt.
»Er ist ein Mann von Mitte vierzig und kann gut auf sich selbst aufpassen.«
»Das
war Stefan Winter
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