Bleischwer
auch! Der war sogar bewaffnet bis an die Zähne, und doch hat
ihm irgend jemand mit einer Eisenstange den Schädel eingeschlagen. Ich habe
seine toten Augen gesehen … Es war grauenhaft. Der Schnee in seinen Wimpern und im Haar … «
»Schsch«,
machte Melanie. »Micha ist bestimmt nicht tot. Oder lag etwa eine Leiche im
Haus deiner Eltern?« Als Jule den Kopf schüttelte, fuhr sie fort. »Na also. Du
musst Ruhe bewahren. Hast du denn schon im ›Eifelwind‹ angerufen und dich
erkundigt, ob er eventuell dort aufgetaucht ist?«
»Nein«,
bekannte Jule leise.
»Okay,
dann machen wir als Erstes das, und danach sehen wir weiter.«
Es tat
Jule gut, dass Melanie von ›wir‹ sprach. Gleich fühlte sie sich etwas besser
und nicht mehr ganz so allein der bedrohlichen Situation ausgesetzt. Trotzdem
glaubte sie nicht, dass Michael zurück in die Eifel gefahren war. Mir nichts,
dir nichts, ohne ihr Bescheid zu geben oder zumindest eine Notiz zu
hinterlassen. Das passte nicht zu ihm.
Und sie
sollte recht behalten: Gerti und Hermann wussten nichts über Michas Verbleib.
Und mit ihrem Telefonat hatte sie die beiden noch zusätzlich in Angst und
Schrecken versetzt.
Völlig
ratlos sahen die beiden Frauen sich an.
»Vielleicht
sollten wir zu Polizei gehen«, schlug Melanie halbherzig vor. »Es muss ja nicht
der fette Wesseling sein.«
Jule
verwarf die Idee sofort. »Auf keinen Fall. Dann quetschen die mich womöglich
noch einmal wegen dem Mord an Stefan aus. Noch wissen sie nicht, dass Micha
damals in Euskirchen der zweite Bankräuber war. Stell dir mal vor, ich
verquatsche mich und reite ihn damit in die Scheiße rein. Und dann stellt sich
womöglich raus, dass er sich doch bloß den Kopf am Couchtisch gestoßen hat und
gerade auf eigene Faust ermittelt. Das würde ich mir nie verzeihen.«
»Da
hast du recht. Aber dann können wir zurzeit nur zwei Dinge tun: einfach
abwarten oder diesen Frank Becker in die Zange nehmen.«
»Nein,
es gibt noch andere Spuren.« Langsam beruhigte Jule sich und erzählte der neuen
Freundin erst ausgiebig von dem Fernsehinterview mit Kurt Wächters Witwe, dann
von Jörgs Skatfreunden.
»Micha
hat Peter Odenthal in Verdacht, weil der sich zur Zeit der Morde im ›Eifelwind‹
aufhielt. Außerdem weiß er – genau wie Leonard Fröhlich – in
allen Einzelheiten über den Euskirchener Bankraub Bescheid. Stell dir vor, der
alte Fröhlich war Stefans Verteidiger. Und Leo und Peter, zu der Zeit ganz
frische Jurastudenten, haben dem Prozess beigewohnt. Warum, wieso und wie oft,
das weiß ich selbst noch nicht. Vielleicht erfahre ich nachher mehr. Wenn die
beiden zum Skat zu uns kommen. Das jedenfalls war der Plan, bevor Micha
verschwand«, schloss sie kläglich.
»Der
immer noch Sinn macht«, bekräftigte Melanie energisch. »Was die Witwe dieses
Polizisten angeht … mmmh, gute Idee. Das muss man später recherchieren. Könnte was
dran sein. Ich kümmere mich aber erst mal um den Dorfcasanova. Ich werde ihn
später anrufen. Das hätte ich eh noch gemacht. Ich meine, wegen der Beerdigung
und so.« Jetzt klang ihre Stimme belegt. Sie blinzelte heftig, bevor sie
weiterredete. »Irgend jemand muss mir doch sagen, wann die Leiche frei gegeben
wird. Die tun alle, als wüsste man automatisch, wie so eine Prozedur abläuft.«
Jule
bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Da jammerte sie hier wegen ungelegten
Eiern herum und dachte überhaupt nicht an Melanies Trauer und Leid.
Unwillkürlich richtete sie sich auf. Von ihr wurden Kraft und Souveränität
gefordert; auch sie musste Trost spenden.
»Gute
Idee, Frank Becker zu kontaktieren, um herauszufinden, inwieweit der Typ in die
Morde und die Hintergründe involviert ist«, sagte sie. »Aber wenn du erfahren
willst, wann deine Schwester beerdigt werden kann, sind Wesseling und seine
rothaarige Kollegin die richtige Adresse. Sag mir bitte, wenn ich dir in der
Angelegenheit helfen kann. Ich tue es gern, ehrlich.« Sie überlegte einen
Moment und fügte schließlich hinzu: »Aber ich will mich nicht aufdrängen.
Sicher steht dir auch dein Mann zur Seite … «
Sie
brach ab, als sie Melanies Blick bemerkte. Eine geballte Ladung aus Bitterkeit
und Frust schoss ihr entgegen.
»Bernd
Coenen interessiert sich einen Scheißdreck darum, wie es um mich bestellt ist.
An meiner Seite ist er schon lange nicht mehr.« In Melanies Stirn grub sich
eine tiefe, zornige Falte. »Der feine Herr hat nur noch sein kleines Blondchen
im Kopf. Die hat er übers Internet
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