Bleischwer
kennen gelernt. Er vögelt sie, sooft er
kann. In der Woche kommt er gar nicht mehr nach Hause und am Wochenende nur,
wenn er frische Klamotten braucht. Ich bin längst abgeschrieben, weißt du.«
Im
letzten Satz schwang so viel Schmerz mit, dass Jule sie am liebsten in die Arme
genommen hätte. Aber sie traute sich nicht. Der hagere gebräunte Körper
Melanies vibrierte förmlich vor Spannung. Ihre Gesichtszüge schimmerten hart
und verwittert wie geschnitztes Tropenholz. Vorsichtig legte Jule ihre helle
Hand über Melanies dunkle. Die blieb steif und unzugänglich.
»Das
tut mir leid. Ich wusste das nicht«, flüsterte Jule bedauernd.
»Woher
auch?«, spie Melanie hasserfüllt aus und zog ihre Hand zurück. »Nach außen hin
führen wir eine Bilderbuchehe. Bernd ist Standesbeamter in Kaarst und außerdem
Vorsitzender im Vorster Schützenverein. Einen Eheskandal kann der sich nicht
leisten. Mich setzt er damit unter Druck, dass ihm das ganze Haus mitsamt dem
Kosmetikstudio gehört. Nach einer Trennung hätte ich nichts mehr! Keine
Wohnung, keinen Job, keinen Mann … « Sie
brach unvermittelt ab und schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Aber Schluss
damit! Bernd ist es nicht wert, dass man drei Worte über ihn verliert. Wir
konzentrieren uns auf die Sache, okay? Vielleicht sollte ich sogar noch einmal
persönlich in die Eifel fahren, anstatt bloß anzurufen.« Sie sprang auf, raffte
alle auf dem Tisch verstreuten Briefe zusammen und fegte sie zurück in den
Karton. »Das überlege ich mir noch. Wir telefonieren später mal, ja? Jetzt muss
ich einkaufen. Möchtest du das Zeug hier mitnehmen?«
Auffordernd
hielt sie Jule den Karton hin.
Die
nickte perplex. Wenige Minuten später stand sie mit ihrer Last in den Händen
draußen im Vorgarten und schaute verblüfft Melanie Pütz-Coenen hinterher, wie
diese in einem gelben Smart mit dem Werbeaufdruck ›Melanies Maniküre & Make-up‹ davonbrauste.
Rastlosigkeit und Ungeduld waberten im Auspuffqualm hinter ihr her.
Auf
Jule wirkte Melanies Hektik geradezu lähmend, als hätte diese alle Energie in
der Umgebung wie ein Magnet angezogen und mitgenommen. Eine ganze Weile stand
sie unschlüssig auf dem Bürgersteig herum. Was sollte sie tun?
Schließlich
rappelte sie sich auf und stieg in den Audi. Ihr fiel ein, dass ihr eigener
kleiner Twingo immer noch auf dem Parkplatz vor dem ›Eifelwind‹ stand.
Irgendwann musste sie ihn abholen. Vielleicht wäre es am sinnvollsten, sie
führe gemeinsam mit Melanie dorthin und besichtigte auch endlich den geräumten
Stellplatz. Unwohlsein stieg in ihr auf bei diesem Gedanken. Schleunigst
schüttelte sie ihn ab. Sie startete den Motor und fuhr los.
Erneut
wählte sie den Weg über Driesch. Erneut hielt sie am Bungalow ihrer Eltern. Sie
kniff die Augen zusammen. Da stand schon ein Wagen in der Auffahrt: Janas
glänzend sauberer Kombi. Jetzt hatte sie es auf einmal eilig. Schnell lief sie
in den dunklen Flur. Bereits von Weitem hörte sie streitende Kinderstimmen. Die
Zwillinge! Jana musste vom Kindergarten direkt hierher gefahren sein. Aber
warum? Kaum hatte sie den Wohnraum betreten, erfasste sie, was los war. Ihre
jüngere Schwester hockte unter dem Vorhang ihres langen dunklen Haares neben
dem Couchtisch und bearbeitete den Blutfleck auf dem Teppich mit Teppichschaum
und Schwamm. Im Hintergrund zankten sich die Zwillinge lautstark um ein
Bilderbuch.
»Was
machst du denn da?«, fragte Jule unnötigerweise, worauf die Kinder abrupt
verstummten, Jana jedoch ungerührt weiterscheuerte.
»Sauber
machen, was sonst?«, blaffte sie. »Wenn du die Schweinerei nicht beseitigst,
die dein Pennerfreund hinterlassen hat?«
Am
liebsten hätte Jule ihre Schwester kräftig durchgeschüttelt oder zumindest zur
Seite gestoßen. Stattdessen machte sie gar nichts, außer schwach zu
protestieren:
»Du
entfernst eventuell Spuren eines Mordes.«
»Hah,
mach dich nicht lächerlich!« Jetzt schaute Jana doch auf. Ihr Blick aus den
schönen Schokoladenaugen war vernichtend. »Als wenn du die Polizei verständigen
würdest! Du willst sicher nicht riskieren, dass die erfahren, dass du den Typ
hier versteckt hast!«
»Was
weißt du über Michas Verschwinden?«
»Nichts.
Das sagte ich bereits.« Jana erhob sich. Sie wischte sich den Schweiß von der
Stirn. »Ich möchte einfach nicht, dass Mama und Papa ein völlig verdrecktes
Haus vorfinden, wenn sie zurückkommen. Dir scheint das ja egal zu sein!«
Was gab
es da noch zu sagen? Nichts, fand Jule.
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