Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
„Nimm sie nicht in Schutz, Noah! Was sie getan hat ...“
„Ich weiß!“
„Und du weißt, dass dich keine Schuld trifft, oder?“
Er überlegte lange, biss dabei auf seiner Unterlippe herum und senkte schließlich seinen Blick. Endlich, nach einer unmessbaren kleinen Ewigkeit, nickte er. „Mittlerweile weiß ich, dass sie beide krank waren, ja. Aber ich dachte lange ... sehr, sehr lange ... es läge an mir.“
„Ich weiß “, erwiderte ich. Denn natürlich hatte ich seine Notizen weitergelesen. Und so wusste ich tatsächlich, wie stark die Schuldgefühle auch im Nachhinein noch in Noah getobt hatten. Ich wusste, dass er sich jeden Tag davor gefürchtet hatte, den Ansprüchen seiner neuen Familie nicht zu genügen und in ein Heim geschickt zu werden. Natürlich waren diese Ängste vollkommen irrational gewesen, aber wie hätte er das damals einschätzen können?
„Du bist so gut, Noah “, versicherte ich ihm, doch er hielt meinem Blick eher skeptisch als verlegen stand. Wäre er verlegen gewesen, ich hätte es als positives Zeichen gedeutet. Verlegenheit setzte voraus, dass man das Kompliment, das einem gemacht wurde, zumindest als Wahrheit in Betracht zog. Noah war davon meilenweit entfernt. Er hielt meine Worte für abwegig, auch wenn er wusste, dass ich sie in aller Aufrichtigkeit aussprach.
„Du bist einer der besten Menschen , die ich kenne. Und dich trifft keine Schuld. Er ... Doug ... ist ein Monster, Noah. Und sie hätte sich für dich entscheiden müssen, nicht für ihn. Egal unter welchen Umständen.“
Er sah mich an, seine Lippen vibrierten. Wieder hatte ich das Gefühl, er hätte am liebsten losgeweint, wusste aber gleichzeitig, dass das nicht geschehen würde. Stattdessen nickte er tapfer. „Ich weiß!“
„Wirklich?“, fragte ich.
Er nickte einfach weiter.
„Glaubst du es auch, oder sagst du es nur so dahin?“
„ Em ...“ Mein Name kam als ein eigenartiges Wimmern über seine Lippen, das mich sofort ausbremste. In diesem Moment, als Noah seinen Blick abwandte und sich mit bebenden Fingern durch die Haare fuhr, spürte ich das volle Ausmaß seiner Verzweiflung. Und diese Erkenntnis durchbohrte mein Herz. Warum?
Das war die große Frage, die über all seinem Leid hing. Warum hatte Doug ihn so lange und so schwer misshandelt? Warum hatte seine leibliche Mutter stumm weggeschaut? Warum hatte sie niemandem wenigstens von der Existenz ihres Sohnes erzählt? Warum hatte keiner nach ihm gesucht? Warum hatte ihm, verdammt noch mal, denn niemand geholfen? All die Jahre lang ...
Schnell erstickte ich meine Gedanken, ehe sie für Noah unerträglich wurden. „Schon gut“, wisperte ich und kuschelte mich zurück an seine Brust. „Ich will bloß, dass du es weißt. Denn du hast recht. Sie sind krank – beide. Und sie tragen die Schuld, nicht du.“
Er hielt mich fest und atmete tief durch. „Okay“, sagte er endlich . Und dann noch einmal: „Okay.“
Lange Minuten verstrichen ohne ein weiteres Wort. Dear true love von Sleeping at last erfüllte den Raum und umhüllte uns sanft. Ich war diejenige, die unsere Stille mit meinem liebsten Wort durchbrach. „Noah?“
„Hm?“ Sein Brummen klang schläfrig, und ich wunderte mich, ob er in der Zwischenzeit eingenickt war.
„Würdest du mir noch ein paar Notizen von dir mitgeben?“
„Bissudurch?“
Oh, und ob er eingenickt war .
„Ja, ich bin durch. Und ... es war hilfreich. So musste ich nicht alles erfragen und konnte trotzdem verstehen, was dir widerfahren ist.“
„Ja“, sagte er leise, bevor er gähnte und sich unter mir streckte. Ich drehte mich auf den Rücken und ließ ihn sich aufrichten.
„Es gibt da nur ein Problem.“
„Das da wäre?“
„Ich habe dir die Notizen des ersten Jahres gegeb en. Danach ... ähm ... tja ... Warte, ich zeige es dir.“ Damit kniete er sich auf den Boden und zog wieder den großen Pappkarton unter seinem Bett hervor. Er entnahm den obersten Block und reichte ihn mir. Sein Blick bekannte Unbehagen. Unsicher schlug ich die ersten Seiten auf.
Einige Sätze standen da, eigentlich eher Satzfetzen. Unzusammenhängende Phrasen, denen ich nichts wirklich Interessantes entnehmen konnte. Aber der größte Teil der Zeilen war leer. Unbeschrieben.
„Öhm ...“, machte ich und entlockte Noah damit ein mildes Lächeln.
„Nicht sehr aufschlussreich, oder?“
„Und die anderen Blöcke sind auch alle leer?“
„Sie waren es nicht, weißt du? Jede Zeile war beschrieben, genauso wie in
Weitere Kostenlose Bücher