Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
wollten. Fest stand, dass ich einer Intuition folgte, die sich aus meinem Traum ergeben hatte. Ich funktionierte wie ferngesteuert.
Wie in jeder Nacht, war meine Balkontür lediglich angelehnt; der Wind blähte die hellen Vorhänge von Zeit zu Zeit wie die Segel eines Schiffes auf. Ich öffnete die Tür und trat nach draußen. Nur wenige Meter von meinem Balkon entfernt wiegten sich die Zweige eines großen alten Laubbaumes sanft hin und her. Und bei diesem Anblick wurde mir klar, was mein überfordertes Hirn mit diesem Traum zu verarbeiten versucht hatte.
Im Dunkeln schlich ich in unseren Wohnraum hinab, kramte in dem Sekretär meines Vaters nach der Taschenlampe, die er dort für eventuelle Stromausfälle aufbewahrte, deaktivierte die Alarmanlage und öffnete die Terrassentür. Barfuß lief ich über das nachtfeuchte Gras zu dem kräftigen Stamm des alten Baums. Ich lehnte meinen Kopf dagegen, wie ich es in der Mittagspause bei unserer Buche an der Schule getan hatte, und blickte hinauf. Obwohl es stockfinster war und die offenbar altersschwache Batterie der Taschenlampe das kleine Licht unbeständig flack ern ließ, fand ich sehr schnell, wonach ich suchte. Nur etwa zwei Meter über meinem Kopf hingen jede Menge Äste und Zweige, die nur noch wenige klägliche Überreste ihrer ehemaligen Blätterpracht aufwiesen.
Ein triumphierendes Läc heln dehnte sich über mein Gesicht, begleitet von dem unglaublichen Glücksgefühl, das meinen Körper durchrieselte – auch wenn das Wissen über Noahs Aufenthaltsort natürlich neue Fragen aufwarf. Aber so war es ja immer mit ihm: Eine Frage klärte sich, unzählige neue entstanden im selben Zug. Wie in der Sage mit dem Drachen, dem für jeden abgeschlagenen Kopf sieben neue nachwuchsen.
Frage Nummer eins pochte am penetrantesten gegen meine Schläfen: Wie hat er es geschafft die Alarmanlage zu umgehen?
Egal, ich würde es nicht hinterfragen. Ich würde meine Neugier tapfer herunterschlucken und Noah nicht noch einmal in eine Situation bringen, in der er nur den einen Ausweg sah: Flucht.
Nie wieder – egal, wie viele Rätsel er mir noch aufgeben würde. Nur eine Sache wollte ich unbedingt wissen: Ist er da? Jetzt, in diesem Moment?
Mit zusammengebissenen Zähnen hielt ich mich davon ab nach ihm zu rufen. Wäre bei meinem Dad wahrscheinlich nicht so gut angekommen.
Endlich kam mir eine andere Idee, die ich zumindest nicht unversucht lassen wollte: Direkte Ansprache, richtig? ... Alles klar! Ich holte tief Luft – als würde ich die für mein Vorhaben brauchen – und schloss die Augen, um mich zu konzentrieren.
Noah Franklin, b ist du hier? Bitte, komm raus. Wo auch immer du dich versteckst, du hast keinen Grund dazu.
Noch nie hatte ich Stille als dermaßen nervenzehrend empfunden, selten zuvor war ich mir dämlicher vorgekommen.
Da sekundenlang nichts geschah, zuckte ich mit den Schultern und wandte mich enttäuscht zum Gehen. Dabei beleuchtete ich den Rasen zunächst unmittelbar vor meinen Füßen und hob die Taschenlampe nur langsam an. ... Und da stand er. Mit in die Hosentaschen gepferchten Händen und schuldgeneigtem Kopf. Schöner als je zuvor, einfach so. Beinahe hätte ich aufgeschrien, aber Noah war bei mir und legte einen Finger über meine Lippen, bevor der kleinste Ton entweichen konnte.
„Pschhh!“, machte er dicht an meinem Ohr. Dann sah er mich wieder so an – wie ein kleiner Junge, der eine Dummheit begangen hatte und dabei erwischt worden war.
Mein Herz überschlug sich beinahe vor Aufregung und fand nur langsam in einen ruhigeren, beständigeren Rhythmus zurück. „Du meinst, es funktioniert tatsächlich?“, presste ich irgendwann mühevoll hervor. „Du kannst mich hören, ohne dass wir einander berühren?“
Noahs Blick wurde weicher, die Schuld wich von Sekunde zu Sekunde weiter in den Hintergrund. Endlich zog er mich an sich. Unmittelbar bevor sich seine Lippen federleicht über meine Haut bewegten, spürte ich sein Schmunzeln an meinem Schlüsselbein. „Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich mit dir machen soll, Emily Rossberg. Deine Reaktionen ... sind mein größtes Rätsel.“
Nun, da konnte ich mithalten. Locker!
XXVI I.
Wie Noah und ich es schafften, so mühelos zurück zu uns zu finden – zu diesem unbeschwerten, glücklichen Zustand, der mich eisern an meinem Vorhaben festhalten ließ, mich nie wieder auf unerlaubtes Territorium hervorzuwagen, blieb mir ein Rätsel. Wir waren verliebt, und ich war bestrebt
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