Blick in Die Angst
Aufwachraum lag. Die Operation war erfolgreich verlaufen, doch noch auf dem OP-Tisch hatte er einen weiteren kleineren Infarkt erlitten, so dass sie ihn noch ein paar Tage länger dabehalten wollten, nur zur Beobachtung. Wenn ich wollte, könnte ich ihn jetzt besuchen.
Ich ging in Robbies Zimmer und verlangsamte meine Schritte, als ich mich seinem Bett näherte. Er hatte die Augen geschlossen, und mein Puls beschleunigte sich, als ich sein blasses Gesicht sah.
Er schlug die Augen auf. »Irgendeine Schwester hat mir meine verdammte Kappe weggenommen.«
Er lächelte über sich selbst. Er hasste seine momentane Hilflosigkeit, wusste aber, dass ich den Witz verstehen würde. Robbie hatte sich ohne seine Baseballkappe schon immer unwohl gefühlt – die einzigen Gelegenheiten, bei denen er sie, soweit ich mich erinnerte, nicht trug, waren Beerdigungen. Davon hatten wir schon viel zu viele gehabt.
»Ich besorge dir eine andere.« Ich lächelte zurück. Traurig dachte ich daran, dass mein Bruder in ein leeres Haus zurückkehren würde. Fast als hätte er meine Gedanken gelesen, verblasste Robbies Lächeln ebenfalls, und wir sahen uns an.
Ich sagte: »Das mit Brew tut mir leid. Die Polizei hat ihn aus dem Schacht geholt, und Steve Phillips hat ihn zum Tierarzt gebracht. Möchtest du ihn einäschern lassen?«
Steve hatte die ganzen Streifenwagen zu meinem Bruder rasen sehen und war ihnen nachgefahren. Ich hatte nur kurz mit ihm gesprochen, ehe ich hinten in den Rettungswagen stieg, doch er hatte versprochen, sich um Brew zu kümmern.
Robbie nickte, wandte den Blick ab und spielte an dem Verband an seiner Brust herum. Mit belegter Stimme sagte er: »Kann ich etwas Wasser haben?«
Ich reichte ihm den Becher und half ihm mit dem Strohhalm. Als er fertig war, stellte ich den Becher wieder auf den Nachttisch und setzte mich auf den Stuhl. Ich versuchte, mich zusammenzureißen und mich nicht vom Anblick meines Bruders und den ganzen Schläuchen, an denen er hing, verrückt machen zu lassen. Ich ließ mir Zeit, den Schal um meinen Hals abzunehmen und ihn in meine Tasche zu stopfen.
Fast unhörbar murmelte Robbie: »Das hast du auch im Krankenwagen gemacht.«
Ich glaubte, er sei noch ganz groggy von den Schmerzmitteln, und sagte: »Was habe ich gemacht?«
»Deinen Schal abgenommen und in die Tasche gesteckt.«
Ich runzelte die Stirn und versuchte mich an die Szene zu erinnern, von der er sprach – die Fahrt im Rettungswagen lag für mich wie hinter einem Schleier verborgen. Das einzige Mal hatte ich meines Wissens den Schal abgenommen, nachdem Robbie einen Herzstillstand erlitten hatte und der Notarzt ihm eine Herzdruckmassage gegeben hat. Bei dem Stress und der Hitze im Wagen hatte ich das Gefühl bekommen zu ersticken.
»Du warst bewusstlos …«
»Mehr als das.« Er klang ungeduldig. »Du weißt, dass ich mir so einen Scheiß nicht ausdenken würde. Ich habe dich gesehen – als wäre ich über dir gewesen. Du hast den Schal so schnell abgenommen, dass du dir einen Ohrring rausgerissen hast. Er ist unter die Trage geflogen, auf der ich lag.«
Jetzt erinnerte ich mich an das leise Klirren, doch ich hatte mich so auf Robbie konzentriert, dass ich es völlig ignoriert hatte. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und schwieg verblüfft. Woher wusste er das?
Er sagte: »Ich will nicht darüber reden – es macht mir eine Höllenangst, okay? Und erzähl das bloß nicht weiter. Die Leute glauben sonst noch, ich wäre bekloppt.«
Ich versuchte immer noch zu verdauen, was er mir gerade erzählt hatte. »Okay …«
»Es war so ähnlich wie das, was Aaron beschrieben hat. Ich war draußen, ich konnte dich sehen und deine Gedanken hören. Du hattest echt Angst – ich habe versucht, mit dir zu reden, aber es ging nicht. Aber ich war ganz ruhig, irgendwie voller Frieden.«
Er musste Halluzinationen gehabt haben. Ich wollte gerade zu der Erklärung ansetzen, dass das vermutlich eine neurologische Reaktion auf den Sauerstoffmangel gewesen war, doch dann hielt ich inne, als ich mir klarmachte, dass die meisten durch Sauerstoffmangel im Gehirn hervorgerufenen Halluzinationen Verwirrung und Desorientierung hervorriefen, nicht so einen ruhigen, friedvollen Zustand. Es erklärte auch nicht, woher er wusste, dass mein Ohrring heruntergefallen war. Selbst wenn sein Hörvermögen nicht beeinträchtigt gewesen wäre, hätte er unmöglich sehen können, dass ich meinen Schal abgenommen hatte.
Robbie starrte wieder hinauf zur
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