Blick in Die Angst
nicht eines Tages wiederkommen und Moms Leiche finden, wie sie an irgendeinem Balken hängt, und Dad ohnmächtig in seiner eigenen Kotze. Ich dachte immer, wenn ich nur gut auf sie aufpasse, könnte ich es verhindern, dann könnte ich dafür sorgen, dass alles gut wird. Aber die beiden sind trotzdem gestorben.« Er schwieg einen Moment. »Vielleicht habe ich sie nur als Vorwand benutzt, um mich nicht um meinen eigenen Scheiß kümmern zu müssen. Ich konnte nie ein Risiko eingehen, nicht einmal für Willow.« Er sah mich an. »Ich war froh, dass du weggegangen bist. Ich habe gerne an dich in deinem hübschen Haus gedacht, im Kreis deiner Familie.«
Tränen liefen mir übers Gesicht. Robbies Augen waren ebenfalls feucht, sein Mund war zu einer Grimasse verzerrt, als er die Tränen zurückzudrängen versuchte. Ich hatte mich geirrt. Er wusste Bescheid, er hatte es erkannt.
Ich sagte: »Wenn wir Menschen lieben, wollen wir ihnen helfen – selbst wenn sie es nicht wollen. Aber manchmal führt es nur dazu, dass wir uns selbst schaden.«
»Du hast deine Sache gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.« Er meinte es ernst, ich hörte es an seiner Stimme. Der Zorn, den ich all die Jahre bei ihm gespürt hatte, hatte nichts damit zu tun, dass ich meinen Weg im Leben gegangen war, sondern galt meinem ständigen Drängen, er solle es mir gleichtun. Ich dachte an Lisa und fragte mich, ob das auch der Kern unserer Probleme war.
»Meine Familie war auch nicht perfekt«, sagte ich. »Bei Lisa habe ich eine Menge Fehler gemacht.«
»Was ist zwischen euch schiefgelaufen?«
»Ich weiß nicht … vielleicht zu viel.« Ich erzählte ihm von Garret, dann von meinen Erinnerungen an Aaron und den Stall, ohne Robbies Monitor aus den Augen zu lassen. Als sein Herz schneller schlug, hielt ich inne und ermahnte ihn, regelmäßig zu atmen.
Sobald er sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er: »Dieser Mistkerl – ich hoffe, dass sie ihn im Gefängnis windelweich prügeln. Du solltest Lisa erzählen, was dir zugestoßen ist.«
»Vielleicht. Wenn sie jemals wieder mit mir spricht.«
»Hast du nichts mehr von ihr gehört?«
»Nein. Ich hatte gehofft, sie würde die Kommune verlassen, sobald Aaron verhaftet ist.« Ich erzählte ihm, was ich von der Polizei erfahren hatte. »Aber ich habe das Gefühl, sie ist immer noch dort.«
Er war noch blasser geworden und wirkte allmählich ziemlich erschöpft. Er ließ erneut den Kopf in das Kissen sinken, seine Lider wurden schwer. »Halt mich auf dem Laufenden, okay?«
»Mach ich. Aber jetzt musst du dich ausruhen. Bis morgen.«
Die Polizei hatte weder Joseph noch Daniel gefasst. Joy, die offensichtlich zusammen mit Aaron die Kommune leitete, erlaubte ihnen nicht, das Grundstück zu durchsuchen, und ohne richterlichen Beschluss konnten sie nichts unternehmen. Der Sergeant, den ich direkt nach meinem Besuch bei Robbie anrief, vermutete, dass sie mittlerweile ohnehin die Insel verlassen hatten.
»Aber machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte er mich. »Ihr Bruder steht weiterhin unter Polizeischutz – er ist schließlich der Hauptzeuge für den Mord an Willow.« Sobald er wieder wach war, würden sie seine Aussage aufnehmen. »Wir stellen bereits einen Trupp zusammen, um auf dem alten Gelände der Kommune nach der Leiche des Mädchens zu suchen.«
Willow würde endlich nach Hause kommen.
Es war mir ein Rätsel, warum keines der Mitglieder und vor allem auch Lisa nicht nach Aarons Verhaftung die Kommune verließen.
»Die meisten von ihnen wissen möglicherweise gar nicht, was passiert ist«, gab der Sergeant zu bedenken. »Sie haben keine Telefone, keine Fernseher oder Internetzugang. Die einzigen Informationen bekommen sie von den Stamm-Mitgliedern, und die halten offensichtlich dicht, bis sie mit Aaron sprechen dürfen.«
Auf dem Parkplatz blieb ich eine Weile in meinem Wagen sitzen. Durch einen dichten Schleier aus prasselndem Regen starrte ich auf das Krankenhaus und dachte über das Gespräch mit meinem Bruder nach. Der Gedanke, wie nah ich dran gewesen war, ihn zu verlieren, ließ mich erschaudern – ebenso wie seine Geschichte über meinen Ohrring. Durch den Regen, der auf der Fensterscheibe hinunterrann, wirkte die Welt dort draußen verzerrt. Farbkleckse und blasse Gesichter tauchten auf, wenn Leute an mir vorbeihasteten, aber ich konnte niemanden erkennen, alles blieb schemenhaft verschwommen. Aarons Worte fielen mir ein. Nur weil du etwas nicht sehen kannst, bedeutet es nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher