Blick in Die Angst
meine Meinung tatsächlich wichtig.«
Was Heather da beschrieb, hörte sich ganz nach einem »Love-Bombardement« an, einer Technik, die von den unterschiedlichsten Gruppen und sogar von Verkäufern angewandt wird. Sie geben dir das, wovon sie glauben, es würde dir fehlen: Ermutigung, Komplimente, Bestätigung; alles, damit man sich gut fühlt – woraufhin man auch ein positives Gefühl ihnen gegenüber entwickelt. Ich dachte an meine Zeit in der Kommune und erinnerte mich, dass Aaron uns aufgefordert hatte, besonders nett zu neuen Mitgliedern zu sein und ihnen zu zeigen, wie glücklich wir in der Kommune waren.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich hasse mich dafür, dass ich gegangen bin. Warum bin ich nicht einfach dort geblieben?«
Ich wartete ab, ob sie die Frage selbst beantworten würde, doch sie starrte nur auf ihre Füße.
»Sie wollten nicht, dass irgendjemand anders Ihr Kind großzieht, und das ist vollkommen nachvollziehbar«, sagte ich. »Haben Sie noch bedrückende Gedanken?«
Sie nickte und wischte sich die Nase am Ärmel ab. »Ich will Daniel nichts davon erzählen.« Sie holte zitternd Luft. »Er macht sich immer Sorgen um mich.«
»Wir werden Daniel nichts erzählen, von dem Sie es nicht wollen. Aber mir können Sie es erzählen. Gibt es etwas, dass Ihnen auf der Seele liegt?«
Sie sah mich traurig an. »Wir haben bei den Retreats Teilen geübt. An meinem zweiten Wochenende dort waren Daniel und ich Partner – so haben wir uns kennengelernt. Aaron hat die Paare zusammengestellt; er sagte, unsere Energie sei unglaublich stark, sobald sie sich vereinigt.«
»Was waren das für Übungen?«
»Wir mussten Dinge beichten.« Sie verlagerte ihr Gewicht und zupfte erneut am Verband an ihrem Handgelenk, als sei er zu fest. »Ich möchte nicht darüber reden.«
Bei dem Wort »beichten« zog sich meine Brust zusammen. Ich wollte von Heather mehr über diese Übungen erfahren, um zu sehen, ob sie wie die Beicht-Zeremonie abliefen, an der ich teilgenommen hatte, oder ob es sogar noch schlimmer war. Vielleicht lag hier der Schlüssel zu meiner Gedächtnislücke. Ich zögerte. Es war nicht recht, Heather zu drängen, bevor sie so weit war – aber sie war der einzige Mensch, der mir helfen konnte, die weißen Stellen zu füllen. Während ich noch darüber nachdachte, was ich tun sollte, fuhr sie aus eigenem Antrieb fort.
»Sie sagten, sie könnten mir helfen, und dass meine ganzen Probleme nur in meinem Kopf existieren.« Wehmütig sagte sie: »Also habe ich nach ein paar Wochen alles verkauft, was ich besaß, zog ins River of Life Center und begann, im Laden zu helfen.« Ich fragte mich, was für eine Art Laden das war und ob er sich auf dem Gelände der Kommune befand.
»Ich wollte in irgendetwas gut sein.« Heather schwieg nachdenklich. »Bevor Daniel das Retreat mitmachte, war er in Haiti gewesen, als Helfer nach dem Erdbeben, und davor war er noch weiter weg im Ausland. Er hat so unglaubliche Dinge in seinem Leben gemacht. Ich habe gar nichts gemacht. Ich schmeiße immer alles hin, die Schule, Jobs. Ich habe einen Treuhandfonds, von meinen Großeltern, und meine Eltern haben mir immer alles gekauft und mir Geld gegeben, so dass es nie irgendetwas auszumachen schien. Aber als ich im Zentrum war, gefiel mir die Arbeit im Laden. Ich habe die Auslagen gestaltet – und ich war gut darin.« Sie begann, an dem Verband zu nesteln. Zupf, zupf, zupf. »Als wir die Kommune verließen, konnte ich keine Arbeit finden, weil ich schwanger war, so dass Daniel zwei Jobs übernehmen musste. Ich war stundenlang allein.«
»Wie war das für Sie?«
»Ich habe es gehasst.« Sie streckte sich, als versuchte sie, von irgendetwas loszukommen, und wand sich auf ihrem Stuhl. »Jede Minute kam mir so unendlich lang vor. Ich sah auf die Uhr, sah fern, versuchte alles Mögliche. Aber meistens war ich müde, also schlief ich viel. Ich versuchte, Abendessen für Daniel zu machen, wenn er nach Hause kam, aber ich habe nur ein heilloses Chaos angerichtet und alles anbrennen lassen.« Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen, und sie schüttelte langsam den Kopf. »Er sollte eine Frau haben, die sich um ihn kümmert. Sehen Sie mich an.« Sie streckte ihre Handgelenke vor. »Wer soll mich schon wollen?«
»Haben Sie noch einmal daran gedacht, sich etwas anzutun?«
»Ich höre ständig eine Stimme in meinem Kopf.« Sie hielt inne. »Ich meine, nicht die Stimme eines anderen. Es ist meine, aber sie sagt, dass ich
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