Blick in Die Angst
also würden wir ihren Behandlungsplan erst in ein paar Tagen besprechen können. Bis dahin würden wir die Dosierung ihre Antidepressiva erhöhen, solange sie keine Nebenwirkungen zeigten.
In den nächsten Tagen änderte sich Heathers Zustand nur langsam. Die Schwestern erzählten mir, dass sie immer noch viel schlief. Zu den Mahlzeiten kam sie zwar heraus, stocherte dann aber nur im Essen herum. Wenn Daniel sie nach der Arbeit besuchte, wurde sie etwas lebhafter, sie schauten zusammen fern, wobei sie den Kopf an seine Schulter lehnte. Nach drei Tagen auf der Geschlossenen war sie etwas munterer, so dass sie auf die andere Seite der Station verlegt wurde, wo sie etwas mehr Freiheiten hatte. Am fünften Tag erhöhten wir erneut die Dosis beim Venlaflaxin, und nach fast einer Woche im Krankenhaus wurde sie endlich gesprächiger.
Wir saßen im Behandlungszimmer. »Wie geht es Ihnen heute?«, fragte ich.
Sie rieb immer noch an den Verbänden an ihren Handgelenken, aber mir fiel auf, dass ihr Blick klarer war und dass sie aufrecht auf dem Stuhl saß.
»Ich glaube, besser … aber ich bin immer noch irgendwie müde.«
»Wenn Sie etwas kräftiger sind, haben wir ein paar ausgezeichnete Gruppen für Sie, die Ihnen gefallen könnten. Malen, Stressbewältigung, Entspannungsübungen, Handwerken.«
Sie lachte, und obwohl es matt klang, war es doch seit ein paar Tagen das erste Mal, dass sie überhaupt eine Reaktion auf irgendetwas zeigte, was ich sagte. »Klingt nach River of Life.«
»Gibt es dort auch Gruppentherapien?« Ich achtete darauf, dass mein Tonfall locker blieb, eher neugierig als forschend. Ohne Daniel neben sich würde sie mir hoffentlich mehr über das Zentrum erzählen.
»Aaron glaubt nicht an Medikamente. Darum hatte ich auch aufgehört, meine Tabletten zu nehmen. Er sagt, ich könne mich selbst heilen, meine Meridiane seien nur blockiert.«
Ich war nicht erstaunt, als ich das hörte. Medikamente hatte er noch nie gemocht, schon in den frühen Tagen der Kommune nicht, und er hatte keinem Mitglied gestattet, einen Arzt aufzusuchen. Erstaunlich, dass nie jemand an medizinischen Komplikationen gestorben war.
»Sie bieten Kurse an, wie man glücklich wird. Sie sagen, man könnte seinen Geist dazu benutzen, alles zu heilen. Aber mir hat es nicht geholfen.« Erneut stieß sie ein dumpfes Lachen aus.
»Depression ist eine Krankheit, genau wie Diabetes oder irgendetwas anderes. Selbst wenn es Ihnen bessergeht, dürfen Sie die Medikamente nicht einfach absetzen. Lassen Sie uns darüber reden, was Sie selbst tun können, wenn Sie sich niedergeschlagen fühlen. Was hat Ihnen in der Vergangenheit geholfen? Gibt es zum Beispiel bestimmte Übungen, einen Lieblingsfilm oder ein Buch?«
Sie zuckte die Schultern und zupfte an ihren Verbänden. »Früher habe ich Yoga gemacht.«
»Dann sollten Sie es vielleicht wieder damit versuchen. Wir bieten ein paar Übungsstunden pro Woche an.«
Sie schien ganz in Gedanken versunken. »So hat es angefangen. In meinem Yogakurs traf ich eine Frau, die mir von diesem Meditationsretreat erzählte, den sie im Zentrum mitmachen würde. Sie sagte, sie sei schon einmal dort gewesen und es sei die beste Erfahrung ihres Lebens gewesen.« Sie klang traurig. »Ich wollte auch einfach nur glücklich sein, aber sehen Sie mich jetzt an.« Sie sackte auf ihrem Stuhl zusammen, der Hauch von Energie, den sie vorher gezeigt hatte, schien verpufft. »Was hat es für einen Sinn, auch nur darüber zu reden? Es ändert ja doch nichts.«
Mir schwirrte der Kopf mit Fragen über das Zentrum. Was geschah während der Retreats? Wie viele Mitglieder lebten in der Kommune? Aber ich durfte diese Fragen nicht stellen – hier ging es nicht um mich. Ich schob alles beiseite.
»Wir können Ihnen zeigen, wie Sie Ihre negativen Gedanken bremsen können, sobald diese Sie wie ein Strudel immer weiter herunterziehen. Zum Beispiel indem Sie, wenn Sie sich plötzlich niedergeschlagen fühlen, sich zu erinnern versuchen, woran Sie gerade gedacht haben. Sobald Sie den Auslöser identifiziert haben, können Sie ihn durch einen anderen, positiveren Gedanken ersetzen. Wollen wir es einmal zusammen versuchen?«
Sie starrte auf ihre Knie. »Die haben auch gesagt, sie könnten mir helfen. Als ich zu diesem ersten Retreat ging, fühlte ich mich tatsächlich glücklicher. Alle waren so nett – sie machten mir Komplimente und gaben mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und sie hörten allem zu, was ich sagte, als sei
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