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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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durch den Goldstream Park, den schroffen, steilen Abhängen und Wasserfällen, die hier und da an der nackten Felswand in die Tiefe stürzten. Aber dieser Tag war klar, und es herrschte nicht viel Verkehr. Ich hätte die Fahrt genossen, wenn mir nicht der Kopf gebrummt hätte vor Überlegungen zur Kommune, Gedanken an die mögliche Reaktion meines Bruders oder daran, was Aaron tun würde, wenn er erfuhr, dass ich eine Aussage bei der Polizei gemacht hatte. Vor lauter Furcht war ich völlig verkrampft. Ich ermahnte mich, dass es nichts brachte, mir Sorgen zu machen, solange ich nicht mehr Informationen hatte. Doch eine leise Stimme im Hintergrund meines Bewusstseins ließ mir keine Ruhe. Bist du sicher, dass du dazu bereit bist?
    Kurz vor dem Gipfel des Malahat nahm ich den Abzweig nach Shawnigan und folgte der Shawnigan Lake Road den Berg hinunter bis ins Tal. Ein großer Teil der Flächen waren seit meinem letzten Besuch gerodet worden. An der Kreuzung am südlichen Ende des Sees hielt ich mich rechts und fuhr in den am Ostufer gelegenen Ort, in dem sich die Polizeistation befand. Unterwegs kam ich an unzähligen Sommerhütten vorbei. Shawnigan hatte nur rund achttausend Einwohner, und die meisten Ferienhäuser gehörten Leuten aus Victoria, die die kurze Fahrzeit, die Strände des Sees und die Möglichkeiten zum Wasserskifahren nutzten.
    Der Ort selbst war klein. Es gab zwei Gemischtwarenläden, eine Tankstelle, einen Frisör, eine Videothek, ein Café und ein paar Restaurants. Wenn man am westlichen Arm des Sees weiterfuhr, stieß man größtenteils auf Farmland und Wald, der, soweit ich mich entsann, bei Jägern und Quad-Fahrern recht beliebt war.
    Die Polizeistation war in einem roten Backsteingebäude untergebracht. Sie war nicht sehr groß und erinnerte mich an eine alte Schule. Den größten Teil der Wache konnte ich vom Wartebereich aus überblicken, wo ich auf einer Holzbank saß und zusah, wie die uniformierten Officers ein und aus gingen. Hin und wieder brachen sie in Gelächter aus, wenn einer von ihnen einen Witz machte. Nach kurzer Zeit trat eine junge Frau im dunkelblauen Kostüm und mit einem freundlichen Lächeln durch die Tür. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt, in dem herzförmigen Gesicht strahlten große braune Augen. Sie hatte einen wiegenden Gang, vermutlich trieb sie viel Sport. Sie sah nicht sehr viel älter aus als meine Tochter, weshalb sich mein Vertrauen in ihre Fähigkeiten in Grenzen hielt. Ich spürte, wie mein unhöflicher Gedanke mich erröten ließ. Wenn sie auf der Karriereleiter bereits so hoch gestiegen war, dann konnte ich sicher sein, dass sie mehr als kompetent war.
    »Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Corporal Cruikshank.«
    Ich schüttelte ihre Hand. »Hallo, ich bin Dr. Nadine Lavoie.« Ich habe mir das nicht ausgedacht. Ich bin Ärztin.
    Wir setzten uns in einem kleinen, grauen Raum an einen Metalltisch. In der Zimmerecke hing eine Kamera. Sie lehnte sich zurück.
    »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie eine Straftat melden?«
    »Ja.« Meine Kehle war trocken, und meine Stimme krächzte leicht beim Sprechen. Sie bot mir etwas zu trinken an, und als ich »Ja gern« sagte, holte sie mir eine Flasche Wasser.
    »Wir werden das Gespräch aufzeichnen, damit wir sichergehen können, dass wir alles haben, aber ich werde mir auch Notizen machen, nur für den Fall, dass ich bei einigen Punkten noch einmal nachhaken muss.«
    »Gut.«
    Dass die Polizistin mehr mit mir gemein hatte, als ich ihr zugetraut hätte, bewies sie, als sie sagte: »Ich weiß, wie unangenehm das für Sie sein muss und dass das Verbrechen bereits lange zurückliegt, aber es ist wichtig, dass Sie versuchen, mir so viele Details wie möglich zu nennen. Ich möchte, dass Sie die Augen schließen und mir alles genau erzählen. Versuchen Sie, all Ihre Sinne zu benutzen, Gerüche, irgendetwas, was Sie gehört haben – alles davon kann helfen.«
    Ich nickte, da ich meiner Stimme nicht traute. Die Vorstellung, in diesem kleinen Zimmer die Augen zu schließen, war plötzlich furchterregend.
    Sie musterte mein Gesicht. »Lassen Sie sich Zeit.«
    Ich holte tief Luft und wartete, bis das Engegefühl in meiner Kehle nachgelassen hatte. Allmählich entspannte ich mich so weit, dass ich die Augen schließen konnte und zu sprechen begann. Zuerst erklärte ich, wie wir zur Kommune gekommen waren und wie es war, dort zu leben. Hin und wieder öffnete ich die Augen, um auf einen Punkt besonders

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