Blick in Die Angst
schickte, zur Trauerfeier für einen Patienten zu gehen. Ich wollte Daniel jedoch nicht noch zusätzlich belasten. Schließlich beschloss ich, Pauls Grab am selben Tag zu besuchen – ich war eine ganze Weile nicht dort gewesen – und, wenn ich konnte, Heathers Begräbnis aus der Ferne zu beobachten.
Am Tag der Beerdigung war es sonnig, aber so kalt, dass die Haut meiner Wangen spannte und meine Hände schmerzten. Ich trug meinen schwarzen Trenchcoat, dazu einen grau-cremefarbenen Schal, den Paul geliebt hatte, und eine Sonnenbrille mit großen Gläsern. Ich legte einige Tigerlilien auf Pauls Grabstein und sah, dass jemand am Fuß des Steines einen kleinen, blühenden Strauch niedergelegt hatte. Ich kniete mich hin und entdeckte einen winzigen Plastikhund, der sich unter den Zweigen zu ducken schien – weiß, wie unser geliebter Husky Chinook, der ein Jahr vor Paul gestorben war. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Lisa musste ihn für ihren Vater hiergelassen haben.
In der Ferne sah ich eine kleine Prozession, die sich auf Heathers Grab ganz in der Nähe von Pauls Ruhestätte zubewegte. Es waren nicht viele Trauergäste, aber das überraschte mich nicht.
Als die Zeremonie vorüber war, sagten die Menschen ein paar Worte zu Daniel, bevor sie langsam davonzogen. Daniel blieb noch eine ganze Weile mit gesenktem Kopf am Grab stehen, dann schlug er den Weg hinunter zum Parkplatz ein. Mit meinem Blumengesteck in der Hand ging ich zu Heathers Grabstelle. Ich legte die weißen Rosen auf den Erdhügel, dachte an ihr liebenswertes Lächeln und die traurigen blauen Augen, wenn sie mich durch den Vorhang ihrer Haare von der Seite angeblickt hatte.
Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte.
Hinter mir sagte eine Männerstimme: »Was tun Sie hier?«
Ich wirbelte herum. Es war Daniel.
»Ich wollte ihr meine Ehre erweisen. Bitte entschuldigen Sie, falls ich zu aufdringlich war.« Ich wischte meine Tränen fort und wandte mich zum Gehen.
»Warten Sie«, sagte Daniel.
Ich drehte mich wieder um und spürte, wie ich mich versteifte.
Er sah mich an, und dieses Mal lag in seinem Blick keine Wut, sondern nichts als erschöpfte Traurigkeit.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
Meine Schultern entspannten sich, und ich lockerte den Griff um meine Umhängetasche. »Sie schulden mir kein …«
»Doch, das tue ich. Die Sachen, die ich auf dem Parkplatz zu Ihnen gesagt habe.« Er schüttelte den Kopf. »Das war nicht fair. Es war nur … ich habe all ihre Sachen in dem Karton gesehen, unser Hochzeitsfoto …« Er starrte hinunter auf die Blumen auf dem Grab und schluckte ein paarmal. »Sie hat versucht, sich umzubringen, als sie mit mir zusammengelebt hat – und davor auch schon. Ich werde das Krankenhaus nicht verklagen. Es ist sowieso meine Schuld. Ich hätte sie zurück ins Zentrum bringen sollen.«
»Ich weiß nicht, ob das geholfen hätte, Daniel. Sie scheint dort eher erst recht aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.«
»Es ging ihr großartig dort – erst, als wir fortzogen, ging es mit ihr bergab.«
»Das kann schon sein, aber Heather hatte das Gefühl, man würde sie bedrängen, zurückzukommen. Und man scheint ihre Grenzen oder Wünsche nicht respektiert zu haben.«
»Sie haben uns nicht bedrängt – sie wollten sich nur vergewissern, dass es uns gutgeht.«
»Glauben Sie, dass es nur das war? Oder hoffte man dort aus einem anderen Grund, Sie würden zurückkehren? Heather hat etwas von Geldspenden erwähnt.«
»Aber wir wollten spenden. Sind Sie deswegen heute gekommen?« Er klang angespannt und abweisend.
»Nein, das ist nicht der Grund. Bitte entschuldigen Sie, falls ich Sie verärgert habe. Ich wollte nur meine Anteilname bekunden. Heather war eine ganz besondere Frau. Es tut mir so leid, dass ich ihr nicht helfen konnte.«
Daniel holte tief Luft und stieß sie in einem Seufzer wieder aus.
»Sie haben es versucht. Sie waren die einzige Ärztin im Krankenhaus, die ihr überhaupt geholfen hat. Sie hat Sie sehr gemocht.«
Die einzige …
Ein Bild von dunklem Wasser tauchte vor meinem geistigen Auge auf, der Geruch von Sand und Erde, etwas Vertrautes lag in diesen Worten. Ich konzentrierte mich darauf, klammerte mich daran. Ich war mit Aaron am Fluss, kalte Felsen bohrten sich in meine Knie. Du bist die Einzige, hatte er geflüstert.
Ich sah Daniel an, aber meine Gedanken waren ganz woanders.
»Du musst mir helfen, oder ich schaffe es nicht, sie zu heilen.« Aaron ist nackt, und ich knie
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