Blick in Die Angst
sechziger Jahre in den Bergen starb. Sein Name war Finn.«
Er lehnte sich an die Motorhaube seines Trucks, als hätte er plötzlich keine Kraft mehr. »Ja, ich erinnere mich an diesen Fall. Es ist einer von denen, die ich wahrscheinlich niemals vergessen werde. Warum fragen Sie?«
»Ich habe in der Kommune gelebt, als er starb.«
Seine Augen wurden schmal, als er mich taxierte. »Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne. Wohnen Sie noch in der Gegend?«
»Ich war damals erst dreizehn. Meine Mutter und mein Bruder, Robbie Jaeger, waren ebenfalls dort. Robbie lebt immer noch hier, aber ich bin fortgezogen.«
Ob er Robbie kannte? Er ließ sich nichts anmerken, sondern sagte nur: »Und wie kann ich Ihnen helfen?«
Ich erzählte, und er packte seinen Truck zu Ende aus. Als ich beschrieb, wie Aaron mich zum Fluss geführt und was er mit mir gemacht hatte, hielt er inne. Ich nannte ihm nur die wichtigsten Fakten, was schon schwer genug war, ohne ins Detail zu gehen. Er bedeutete mir, weiterzuerzählen, während er seine Kühlboxen ausspülte und die Angelruten aufhängte. Beim Zuhören machte er ein nachdenkliches Gesicht. Als ich zum Ende kam, war auch er mit dem Aufräumen fertig.
»Lassen Sie uns ins Haus gehen«, sagte er. »Es wird kalt hier draußen.«
Sein Haus war ordentlich und sauber, aber es war ganz offenkundig das Zuhause eines Junggesellen, mit der schroffen, maskulinen Ausstrahlung der braunen Ledersessel und der Edelstahlküche. Im Wohnzimmer legte er ein Holzscheit aufs Feuer und lud mich mit einer Geste ein, mich zu setzen. Die intensive Wärme tat gut nach der Kälte. Solange er in der Glut herumstocherte, starrte ich durch das große Panoramafenster hinaus auf den See, über dessen dunkle Oberfläche sich eine dichte Nebeldecke schob.
Schließlich setzte er sich mir gegenüber auf den Sessel, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Seine Stimme war barsch, beinahe zornig, als er sprach.
»Ich war derjenige, der die Leiche des Jungen gefunden hat. Seine Eltern haben die ganze Zeit gesagt, dass er jetzt an einem besseren Ort sei.« Er schwieg, die Lippen fest zusammengepresst. »Irgendetwas stimmte mit denen nicht – vor allem mit diesem Aaron. Ich dachte, dass er vielleicht mehr mit dem Verschwinden des Jungen zu tun haben könnte, als er zugab, aber wir fanden nichts Konkretes. Und einige der Mitglieder gaben ihm ein Alibi.«
»Können Sie sich erinnern, wer?«
Er lehnte sich zurück und starrte zur Decke hoch. »Die Namen fallen mir gerade nicht ein, aber ein Zeuge hat gesehen, dass eine Frau mit dem kleinen Jungen im Arm getanzt hat und dann mit ihm fortgegangen ist. Später erklärte dieser Zeuge, dass er high gewesen sei und sich wegen des Zeitpunkts vertan hätte.«
»Glauben Sie, dass jemand ihn dazu angehalten hat, seine Aussage zurückzunehmen?«
»Darauf können Sie wetten.«
»Wie war sein Name?«
»Levi.«
Ich hatte gebetet, er würde nicht Robbies Namen sagen, doch über diese Antwort war ich nicht minder bestürzt.
Mein Gesichtsausdruck musste ihn stutzig gemacht haben. »Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?«
»Nein. Es ist nur …« Ich versuchte angestrengt, mich zu erinnern. »Ich weiß nicht mehr wirklich viel aus der Zeit, als Finn starb, aber Levi und mein Bruder waren gute Freunde. Seltsam, dass ich mich nicht daran erinnere.«
»Er hat seine Aussage ziemlich schnell zurückgenommen.«
»Glauben Sie, dass die Leute von der Kommune bei Finns Tod irgendetwas vertuscht haben? Glauben Sie …« Ich räusperte mich, meine Kehle war plötzlich eng. »Wurde er umgebracht?«
»Nein, es gab keinerlei Spuren, die auf Verletzungen hindeuteten. Er starb an Erschöpfung und Unterkühlung. Seine Eltern hatten noch ein Kind – das Jugendamt hat ihnen das Baby weggenommen. Ich habe mich immer gefragt, was wohl aus ihm geworden ist.« Wir schwiegen beide. Dann sagte er: »Wir waren uns sicher, dass sie in der Kommune Marihuana anbauten, aber wir konnten nichts finden, um sie dranzukriegen.«
»Sie haben Drogen angebaut. Darum sind sie nicht sofort zur Polizei gegangen. Sie hatten Angst, Sie könnten den Stall durchsuchen.«
Er schüttelte den Kopf. »Wir nahmen an, sie hätten das Zeug irgendwie vernichtet, aber es gab keine Anzeichen, dass sie es verbrannt hätten, nichts. Wir haben nie herausgefunden, was sie mit dem ganzen Zeug angestellt haben.«
Ich schwieg nachdenklich. »Das ist merkwürdig. Ich weiß auch nicht, was sie damit gemacht haben, weil
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