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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Element moralischer oder sonstwie gearteter Voreingenommenheit in den Gehirnen der Kultur vorhanden sein. Warum sollte diese Spur sich – bei einem Menschen oder Chelgrianer – nicht als natürliche Veranlagung gegen die Langeweile, verursacht durch die abstumpfende Unbarmherzigkeit ihres hoch gelobten Altruismus und eine Schwäche für das gelegentliche Missverhalten, äußern? Eine finstere, wilde Saat der Gehässigkeit in den endlos rauschenden Feldern ihrer Mildtätigkeit?
    Der Gedanke störte ihn nicht, was an sich schon merkwürdig war. Ein Teil von ihm, ein verborgener, schlummernder Teil, fand die Vorstellung zwar nicht gerade erfreulich, aber immerhin befriedigend, sogar nützlich.
    Er hatte zunehmend das Gefühl, dass es im Rahmen der Aufgabe, die er übernommen hatte, mehr als das Vermutete zu erforschen gab, dass seine Arbeit wichtig war und dass er umso entschlossener sein würde, das zu tun, was immer auch getan werden musste.
    Er wusste, dass er mehr darüber erfahren würde – sich an mehr erinnern würde – später; denn er erinnerte sich jetzt schon an immer mehr.
     
    »Und wie geht es uns heute, Quil?«
    Oberst Jarra Dimirj ließ sich in einem Sessel neben Quilans Bett nieder. Der Oberst hatte am allerletzten Kriegstag bei einem Flugunfall sein Mittelglied und einen Arm verloren; beides wuchs nach. Einigen der Opfer im Hospital machte es anscheinend nichts aus, mit entblößten nachwachsenden Gliedmaßen herumzulaufen, und einige, oft die Angegrauten und stolz Vernarbten, machten sogar Witze über den Umstand, dass sie etwas an sich hatten, was genau wie der Arm oder das Mittelglied oder das Bein eines Kindes aussah.
    Oberst Dimirj zog es vor, seine nachwachsenden Gliedmaßen bedeckt zu halten, was Quilan geschmackvoller fand – soweit er sich überhaupt um irgendetwas scherte. Der Oberst hatte es sich anscheinend zur Pflicht gemacht, turnusmäßig mit allen Patienten im Hospital zu sprechen. Offenbar war er heute an der Reihe. Er wirkte aufgedreht. Vielleicht hatte man ihm in Aussicht gestellt, bald entlassen zu werden, oder er war befördert worden.
    »Mir geht es gut, Jarra.«
    »Aha. Wie kommt Ihr neues Ich voran?«
    »Ganz gut, glaube ich. Anscheinend mache ich zufrieden stellende Fortschritte.«
    Sie befanden sich im Militärhospital in Lapendal auf Chel. Quilan war immer noch ans Bett gefesselt, obwohl das Bett Räder hatte und mit einem Bewegungsantrieb und einer Versorgungsanlage versehen war, sodass er, wenn er gewollt hätte, damit durch den größten Teil des Hospitals und einen weiten Bereich des Geländes hätte fahren können. Quilan hatte das Gefühl, dass damit ein Chaos vorprogrammiert war, doch das medizinische Personal gab sich den Anschein, als ermutige es die ihm Anempfohlenen ausdrücklich zum Herumfahren. Es war ihm egal, alles war ihm egal; Quilan hatte die Mobilität des Bettes noch kein einziges Mal in Anspruch genommen. Er ließ es auf ein und derselben Stelle stehen, neben dem hohen Fenster, das einen Blick über die Gärten und den See bis zum Wald am gegenüberliegenden Ufer gewährte – so hatte man ihm gesagt.
    Er hatte noch nie aus dem Fenster geschaut. Er hatte nichts gelesen, außer den Buchstaben auf dem Bildschirm, als man seine Sehkraft geprüft hatte. Er hatte nichts beobachtet, außer das Kommen und Gehen des medizinischen Personals sowie der Patienten und Besucher draußen im Korridor. Manchmal, wenn die Tür geschlossen war, hörte er die Leute im Flur nur. Meistens starrte er einfach nur geradeaus, zur gegenüberliegenden Wand, die weiß war.
    »Das ist gut, ja«, sagte der Oberst. »Was glauben Sie, wann Sie dieses Bett verlassen können?«
    »Sie glauben, das dauert noch etwa fünf Tage.«
    Seine Verletzungen waren schwer gewesen. Wenn er noch einen Tag länger in dem Halbwrack von einem Lastwagen über die Phelen-Ebene auf Arome geschaukelt worden wäre, wäre er gestorben. Doch schließlich war er nach Golse City gebracht und auf ein Depotschiff der Unsichtbaren verladen worden. Bei seiner Rettung zählte jede Stunde. Die hoffnungslos überforderten Ärzte des Depotschiffs taten ihr Bestes, um seinen Zustand zu stabilisieren. Trotzdem war es noch ein paarmal fast um ihn geschehen gewesen.
    Das loyalistische Militär und seine Familie verhandelten über das für ihn zu zahlende Lösegeld. Ein neutrales medizinisches Fährschiff eines der Pflege-Orden brachte ihn zu einem Krankenschiff der Marine. Als er dort ankam, war er kaum noch am Leben. Man

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