Blicke windwärts
Entscheidung niemandem aufzwingen, Kustos.«
»Das ist leicht gesagt, Tibilo.«
»Ich weiß, und es ist schwer getan. Aber ich bin nicht in Eile zu sterben. Ich bin durchaus bereit zu warten, bis ich mir ganz sicher sein kann, dass ich das Richtige tue.«
Der alte Mönch sank wieder zurück, nahm seine Brille ab und zog einen schmuddelig aussehenden grauen Lappen aus seiner Weste. Er hauchte die beiden großen Linsen abwechselnd an und polierte sie. Er prüfte das Ergebnis. Quilan fand, dass die Gläser nicht besser aussahen als vorher. Er setzte die Brille wieder mit Sorgfalt auf und blinzelte zu Quilan hin.
»Das ist, wie dir aufgefallen sein wird, Major, eine Veränderung.«
Quilan nickte. »Mir kommt es mehr wie eine… wie eine Läuterung vor«, sagte er. »Herr.«
Der Alte nickte bedächtig.
Lenkschiff
UAGEN ZLEPE, GELEHRTER, bereitete gerade eine Infusion aus Jhagelblättern vor, als 974 Praf plötzlich auf dem Fenstersims der kleinen Küche erschien.
Der Affen-Mensch – weniger Affe, mehr Mensch – und die fünftrangige zur Dolmetscherin gewordene Entscheiderin waren ohne Zwischenfälle auf das lenkbare Behemothaurum Yoleus zurückgekehrt, nachdem sie den auf Abwege geratenen Glyphenschreiber eingefangen und etwas in der blauen, blauem Tiefe der Luftsphäre unter ihnen gesichtet hatten, was immer das gewesen sein mochte. 974 Praf war sofort davongeflogen, um ihrem Vorgesetzten Bericht zu erstatten. Uagen hatte beschlossen, sich nach all der Aufregung erst einmal ein Nickerchen zu gönnen. Das erwies sich als schwierig, deshalb zwang er sich mit einem kleinen Dämpfungs-Cocktail zum Schlafen. Als er nach genau einer Stunde aufgewacht war, hatte er mit den Lippen geschmatzt und war zu dem Schluss gekommen, dass etwas Jhageltee ganz gut wäre.
Das runde Fenster seiner kleinen Küche ging hinaus auf den abschüssigen Wald, der Yoleus’ obere Frontfläche war. Das Fenster hatte eine Reihe von gazefeinen Gardinen, die er vorziehen konnte, doch meistens war es ihm lieber, wenn sie zu beiden Seiten weggeschoben waren. Die Sicht war früher einmal wunderschön und lichtdurchflutet gewesen, doch seit etwa drei Jahren war sie überschattet vom wuchtigen Körper Muetenives, Yoleus’ zukünftiger Paarungsgefährtin. Yoleus’ Laubwerk sah allmählich verwelkt und blutleer aus im Schatten des anderen Geschöpfs. Uagen seufzte und machte sich daran, die Infusion zu setzen.
Die Jhagelblätter waren ihm sehr wertvoll. Er hatte nur ein paar Kilo von zu Hause mitgebracht; jetzt war noch etwa ein Drittel dieser Menge übrig, und er hatte sich auf eine Ration von einer Tasse alle zwanzig Tage herabgesetzt, damit sein Vorrat so lange wie möglich reichte. Er hätte auch Samen mitbringen sollen, aber das war ihm zu spät eingefallen.
Das Setzen der Infusion war für Uagen zu einer Art Ritual geworden. Jhageltee sollte angeblich beruhigend wirken, er hatte jedoch gemerkt, dass der Vorgang des Zubereitens an sich schon entspannend wirkte. Vielleicht sollte er, wenn seine Vorräte endgültig aufgebraucht waren, dazu übergehen, dieselben Bewegungen mit einer Plazebo-Mischung zu vollführen – und erst kurz vor dem Trinken aufhören –, um zu ergründen, welcher Grad an Beruhigung allein durch die Zeremonie des Zubereitens bewirkt werden konnte.
Mit konzentriert gerunzelter Stirn füllte er einiges von der dampfenden blassgrünen Infusion durch einen tiefen Seiher, der dreiundzwanzig geschichtete Lagen von Filtern enthielt, die unterschiedlich zwischen minus vier und minus vierundzwanzig Grad gekühlt waren, in eine vorgewärmte Tasse um.
Da tauchte plötzlich Dolmetscherin 974 Praf auf seinem Fenstersims auf. Uagen zuckte zusammen. Einiges von der heißen Flüssigkeit ergoss sich über seine Hand.
»Au! Umm. Hallo, Praf. Umm… ja; au!«
Er legte den Seiher und den Topf aus der Hand und hielt diese unter laufendes kaltes Wasser.
Das Geschöpf sprang durch das runde Fenster, wobei es die lederartigen Flügel dicht angelegt hielt. In der kleinen Spülküche wirkte es plötzlich sehr groß.
Es schaute auf die Pfütze der vergossenen Infusion. »Eine Zeit zum Fallenlassen«, bemerkte es.
»Wie? Oh, ja«, sagte Uagen. Er betrachtete seine gerötete Hand. »Was kann ich für Sie tun, Praf?«
»Yoleus möchte mit Ihnen reden.«
Das war ungewöhnlich. »Wie, jetzt gleich?«
»Sofort.«
»Nun, von Angesicht zu… umm, na ja…?«
»Ja.«
Uagen verspürte einen Anflug von Angst. Er konnte jetzt eine
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