Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
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22 Meine chinesische Tante
Vorweg eine Warnung: Dieses Kapitel kann leider nicht ganz so unterhaltsam ausfallen, denn gleich kommt meine Ayi. Sie wird ordentlich Krawall machen und mich von meinem Schreibtisch vertreiben, weshalb auch die Feinziselierung entfallen muss. Stattdessen kann ich nur ganz grobe Informationen liefern, zum Beispiel, dass Ayi eigentlich Tante heißt, in China aber auch Dienstmädchen oder Putzfrauen so genannt werden. Diese Sorte Ayis kommt meistens vom Land. Sie arbeiten für sechzig Cent bis zu einem Euro die Stunde, sodass sich auch der dahergelaufenste freie Autor eine leisten kann.
Genau genommen ist eine Ayi die jüngere Schwester der Mutter. Die ältere Schwester heißt Yima und die Tante väterlicherseits (ältere Schwester) Guma bzw. Gugu (jüngere Schwester). Ebenso werden die Onkel mütterlicher- und väterlicherseits unterschieden, wie überhaupt jeder Mensch im weitverzweigten chinesischen Familienverband eine eigene Verwandtschaftsgradbezeichnung hat. So heißt die eigene Schwester nicht einfach Schwester, sondern es wird zwischen älterer Schwester (Jiejie) und jüngerer Schwester (Meimei) unterschieden; genauso zwischen älterem Bruder (Gege) und jüngerem (Didi). Selbst entferntere Verwandte wie die Frau des älteren Onkels väterlicherseits haben ihren eigenen Verwandtschaftstitel (Boniang). Ist man einmal in die Fänge einer chinesischen Familie geraten, entkommt man ihr nicht mehr, allein weil man den Rest seines Lebens damit beschäftigt ist, die verschiedenen Verwandtschaftsgradbezeichnungen auswendig zu lernen.
Meine Ayi ist sehr gut. Sie putzt äußerst gründlich, sodass am Ende immer alles tipptopp sauber ist. Doch das ist offenbar die Ausnahme. Das weiß ich von den Expatfrauen hier in Peking. Expatfrauen sind ungefähr das, was früher einmal die Kolonialbeamtengattinen waren, nur dass ihre Männer jetzt bei Microsoft, BMW und Siemens arbeiten statt für Kaiser Wilhelm. Da etliche von ihnen nicht viel zu tun haben, verbringen sie den größten Teil ihrer Freizeit damit, sich über ihre Ayis zu beklagen. Dazu finden sie allerdings auch eher Anlass, denn im Unterschied zu meiner Ayi werden die Ayis der Expatfrauen meistens ganztags beschäftigt. Sie putzen nicht nur, sondern kochen auch und passen auf die Kinder auf, zumindest theoretisch. Tatsächlich aber sitzen sie den ganzen Tag auf dem Sofa und lackieren sich die Fußnägel. Dabei benutzen sie unerlaubt das Telefon, duschen mit warmem Wasser und sehen sich gleichzeitig koreanische Seifenopern auf DVD an, wahrscheinlich weil sie glauben, so noch sauberer zu werden. Das wurde mir jedenfalls von Expatfrauenseite berichtet. Kochen tun diese Ayis bloß Instant-Nudelsuppen oder Wackersteine, wenn überhaupt. «Mein neunjähriger Sohn wäre fast verhungert», erzählte mir die Frau eines französischen Käseimporteurs, «weil ihm die Ayi nichts zu essen gab. Gut, dass ich das Kind neulich zufällig in unserem Wohnzimmer getroffen habe, als mein Mann und ich frühmorgens aus dem Suzie-Wong-Club kamen.»
Manchmal bleibt die Ayi aber auch ganz weg, weil ihre Mutter im Sterben liegt oder wegen anderer Wehwehchen. Dann muss sie von der Expatfrau gefeuert werden. Das ist einerseits bedauerlich, andererseits hat sie damit auch ein neues Thema für die Expatfrauenrunde. «Sagmal», fragt die mit einem Expatmann Verheiratete jetzt, «kennst du nicht eine wirklich gute Ayi? Es soll da welche geben, die auf den Knien rutschend putzen. Lächelnd!» Doch solche Ayis sind schwer zu finden. Wird nämlich nach ein paar Wochen des Bekakelns endlich ein neues Dienstmädchen eingestellt, dauert es nicht lange, bis herauskommt, dass auch dieses letztlich eine Schlampe ist, eine Anhängerin der Viererbande, die Schnaps trinkt und es mit dem ihr anvertrauten Essensgeld nicht so genau nimmt. Eins, zwei, drei ist auch sie wieder rausgeschmissen. «Ach, weißt du», heißt es dann, «bei der ist mein Sohn sowieso zu fett geworden.»
So, grob geschildert, springen einige Expatfrauen mit ihren Ayis um. Expatmänner würden das nie tun. Sie nennen sich lieber Wilson, Greg oder Tim und eröffnen Blogs, wo sie das Ayibeschäftigen problematisieren: «Bin ich ein moderner Sklavenhalter», fragt zum Beispiel John, «der Linguist», auf sinosplice.com, «weil ich meiner Ayi nur siebzig Cent die Stunde zahle?» Zum Glück darf
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