Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Jahr zwischen neun und neunzehn. Der Sand kommt aus den Wüsten im Westen Chinas, der Gobi in der Mongolei und der Taklamakan im fernen Xinjiang. 2006 brachte einer dieser Stürme dreihunderttausend Tonnen Sand mit, die in bloß einer Nacht auf Peking rieselten. Im Grunde sind die Sandstürme aber Staubstürme, weil der Sand so superfein ist. Mühelos fliegt er um den halben Erdball. So haben Wissenschaftler chinesischen Wüstenstaub auf französischen Alpengipfeln gefunden. Er war in nur zwei Wochen über den Pazifik, die USA und den Atlantik dorthin gereist, ohne Flugticket und Einreisevisum, versteht sich.
Eigentlich machen mir die Sandstürme nichts aus. Im Gegenteil. Sie sind eine willkommene Abwechslung nach dem niederschlaglosen Winterklimaeinerlei. Und wer einmal durch die Sechzehn-Millionen-Stadt Peking gegangen ist, ohne wegen der Staubwolken auch nur einen einzigen Menschen zu sehen, wird diese wunderbare Erfahrung nicht so schnell vergessen. Auch wenn nach den Stürmen die Stadt mit gelbem Puderzuckerstaub überzogen ist, sieht das ganz hübsch aus. Und nach zwei Wochen ist der ganze Zauber sowieso vorbei. Damit beginnt allerdings das eigentliche Problem. Der Staub emigriert in die Wohnungen. Er schleicht sich durch Ritzen und Türen in die Häuser, wo er sich mit dem endemischen Staub verbrüdert. Über Nacht verwandeln sich die zahlreichen Bataillone von Staubmäusen in Staubelefantenarmeen, die Tische, Stühle und Betten belagern. Selbst lethargische Kinder sind schnell mal eingestaubt, wenn ihre Eltern sie nicht zum Spielen zwingen. Alteingesessene Pekinger wissen sich zu helfen, indem sie alles, was sie besitzen, verpacken. Sie verstauen Hausrat, Bücher oder Kleidung in luftdicht abgeschlossenen Schränken, Glasvitrinen, in Kartons oder Plastiktüten. Sie nähen oder häkeln ihren Fernsehern, Computern, Toastern und Klavieren fesche Überzüge, Mäntelchen und Mützchen. So wirkt das Innere von Altpekinger Wohnungen meist so gemütlich wie ein großes Warenlager.
Ha, ha, lachte ich, als ich von Singapur nach Peking kam, ihr Mini-Christos mit eurem kleinbürgerlichen Verpackungswahn, ihr habt sie doch nicht mehr alle. Ich dachte auch gleich daran, meine neuen Mitbürger mit einem bissigen Text kräftig zu verspotten. Als ich allerdings in meinem Regal ein paar Bücher nicht mehr finden konnte, weil die Rücken so verstaubt waren, begann ich zu überlegen, ob ich nicht selbst anfangen sollte, zu häkeln und zu verpacken. Das aber konnte ich mir sparen, weil der Sommer nahte. Gegen Mitte oder Ende Mai nämlich strömen Monsunwinde aus dem Süden in die Pekinger Bucht. Von einem Tag auf den anderen wird es tropisch heiß, und es regnet jeden zweiten Tag. Der Staub auf den Straßen wird sofort weggeschwemmt, und der in der Wohnung verwandelt sich in eine klebrige, graue Masse, die zum Schimmeln neigt.
Dann kann man sehen, wie die Pekinger alles wieder auspacken und ausbreiten, wie sie Ventilatoren aufstellen oder Fächer in die Hand nehmen und verzweifelt versuchen, ihren Computern, Klavieren und Büchern Luft zuzufächeln. Es hat sich meines Wissens noch kein Ethnologe mit diesem Phänomen beschäftigt: Aber eventuell ist ja dieser Wetterextremismus der eigentliche Schlüssel zum unermüdlichen Fleiß der Chinesen. Das heißt wahrscheinlich auch, dass wir Europäer nichts dringender brauchen als eine anständige Klimakatastrophe, wenn es mit der Wirtschaft wieder aufwärtsgehen soll.
PS: Eigentlich sollte an dieser Stelle ein viel interessanterer Beitrag zum Thema Topfpflanzenpflege unter den besonderen Pekinger Bedingungen stehen. Die elenden Topfpflanzen sind im letzten Jahr aber leider alle eingegangen. Ein Teil wurde vom Staub erstickt, den Rest hat die Saunahitze im Sommer erledigt. Die Überschrift wurde beibehalten, um an meine Topfpflanzen zu erinnern. Ein Topfpflanzenmahnmal sozusagen.
25 Mein erster Reiseführer
Wer in Peking wohnt, der bekommt mehr Besuch als jemand in Frankfurt oder Dortmund. Die Feuilletons in Deutschland schreiben ja auch zu farbig und verlockend über unsere «Megametropole» (Die Zeit, 49/02) bzw. «Megametropole» (Die Zeit, 50/02) oder eben auch «Megametropole» (Die Zeit, 25/05) respektive «Megametropole» (Die Zeit, 20/07). Andererseits wird sie auch als «Mega-Metropole» (Berliner Morgenpost, 14. April 2003) beschrieben oder als «Mega-Metropole» (Deutschlandfunk, 2. August 2008) oder aber – gewagt, gewagt – als «Mega-Metropole der
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