Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Gegensätze» (Tagblatt, Schweiz, 26. Juli 2008). Andere allerdings apostrophieren unsere Stadt schlicht als «Mega-City» (sueddeutsche.de, 23. Februar 2007) bzw. «Mega-City der Gegensätze» (max.de City Guide, ohne Datum) respektive voller Understatement als «Mega-City Peking – so groß wie ganz Thüringen» (Bild, 30. Juli 2008). In Deutschland weiß man also Bescheid.
Ich habe eigentlich kein Problem mit den vielen Gästen aus den verschiedenen Elendsregionen dieser Welt (Deutschland, Österreich, Schweiz). Es nervt nur, dass ich sie vor dem Besuch jedes Mal in langen E-Mail-Aufsätzen darüber aufklären muss, dass in Peking doch so manches anders ist als auf Gomera. Dem soll dieses kleine Kapitel abhelfen, an welchem sich doch bitte alle zukünftigen Besuchergenerationen orientieren mögen.
Es geht schon bei der Ankunft los. Vergessen Sie bitte den Satz: «Ich nehme am Flughafen ein Taxi und komme dann zu dir.» Sie können es probieren. Die Pekinger Taxifahrer sprechen aber kein Englisch und auch nicht das, was Sie in Lautschrift von Ihrem Zettel ablesen und für Chinesisch halten. Und selbst wenn Sie in Bochum zwanzig Semester Sinologie studiert haben und Ihr Ziel korrekt benennen können, nützt Ihnen das gar nichts. Taxifahrer kennen hier keine Anschriften, und Stadtpläne lesen sie aus Prinzip nicht. Sie orientieren sich grob am Stand der Sonne, dem Vogelflug und den Gezeiten. Wer also keinen Wert auf eine mehrstündige Odyssee durch Baustellenlandschaften legt, der bleibe wie angenagelt am Flughafen stehen und warte entweder auf Rettung, d. h. auf mich und meine gutaussehende Dolmetscherin, oder er nehme den tollen neuen Airport-Express in die City. Nur: An der Endhaltestelle steht man dann vor demselben Problem.
Gehen wir dann zusammen essen, kommen Sie mir bitte nicht mit: «Kein Problem, ich esse alles.» Das tun Sie nicht, ich weiß es. Sie essen keine kalten Entenzungen in Öl, keine Fischaugen, keine hundertjährigen Eier, keinen Schweine-Uterus und auch nicht lebendig ins Kochwasser geschmissene Frösche, die Ihnen noch aus der Suppe verzweifelt zuwinken. Sie wollen ganz sicher keine Qualle, keine Schweinefüße, keine Schwarte, Sie wollen weder Rinderpenis noch stinkenden Tofu auf Ihrem Teller sehen. Wahrscheinlich mögen Sie auch keinen «unsterblichen Fisch», dessen Kopf in ein nasses Handtuch eingeschlagen wurde, damit er den Kochvorgang überlebt. So kann der Fisch, wenn er serviert wird, Ihnen mit großen Augen zusehen, wie Sie den Rest seines leckeren Körpers verzehren. Falls Sie das aber alles doch mit Begeisterung zu sich nehmen würden, dann ist der mit etwa fünfhundert getrockneten Chilischoten zubereitete Fisch garantiert zu scharf; oder Sie haben eben die deutsche Modekrankheit Koriander-Allergie.
Vergessen Sie bitte auch Ihre guten Manieren Damen gegenüber. Wenn Sie sich schon auf dem Platz des Himmlischen Friedens, auf der Wangfujing oder sonst wo von jungen, süßen Mädchen ansprechen lassen müssen, dann laden Sie diese nicht zu Getränken ein. Falls Sie partout nicht widerstehen können, werfen Sie um Himmels willen vorher einen Blick auf die Getränkekarte. Denken Sie nicht: «Ach, das Bier kostet nur vier Euro. Dann werden die doppelten Whiskys, die diese niedlichen, unschuldigen Geschöpfe gerade in sich reinkippen, auch nicht so teuer sein.» Zwei meiner Freunde zahlten für nichts als zwei Stunden Schäkerei am Ende genau dreitausendneunhundertachtzig Yuan (inkl. hundert Yuan Kreditkartengebühr), das sind mehr als vierhundert Euro.
Sollten Sie aber selbst eine Dame sein, dann lassen Sie doch Ihre hochhackigen Schuhe zu Hause. Die Pekingerinnen können auf unseren Schlaglochbürgersteigen damit laufen, nicht aber Sie! Das werden Sie spätestens dann bemerken, wenn Sie mit mir im Wartesaal des Military General Hospital sitzen und großformatige Farbfotos anstarren, auf denen ein Ärzteteam stolz demonstriert, dass es nunmehr auch das Zuschneiden eines künstlichen Darmausgangs aus dem Effeff beherrscht.
Erzählen Sie bitte auch keinem von uns Ausländern, Sie würden Peking kennen, weil Sie hier vor vier Jahren mal gewohnt haben. Die Stadt wurde in der Zwischenzeit dreimal abgerissen und komplett anders wiederaufgebaut. Und lernen Sie vor Ihrer Ankunft doch wenigstens die zwei wichtigsten Sätze auf Hochchinesisch, denn das ist die Sprache, die hier gesprochen wird, nicht Kantonesisch wie zu Hause in Ihrem Chinarestaurant.
Der erste Satz
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