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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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und Kantonesisch gelten einigen Sprachwissenschaftlern gar als unterschiedliche Sprachen, die zwar einen gemeinsamen Stamm haben, aber sonst so weit auseinander sind wie etwa Spanisch und Französisch. Wenn die Chinesen selbst schon sprechen, wie sie wollen, darf ich das wohl auch.
    Wegen des allgemeinen Sprachkuddelmuddels wird in China aber bis heute an den Schriftzeichen festgehalten, weil die für alle Chinesen – im Prinzip zumindest – dieselben sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Zeichen auf dem Papier nicht so viel Platz verbrauchen. Da auch chinesische Sätze sehr viel kürzer sind als englische oder deutsche, sind z.   B. chinesische Bücher auch sehr viel dünner als anderswo. Das ist bisher wohl Chinas größter Beitrag zur globalen Ökologiebewegung.
    Andererseits sind es die fünfzigtausend bis achtzigtausend Schriftzeichen, die aus dem Chinesischen dann doch noch eine schwere Sprache machen, auch wenn man sich nur dreitausendfünfhundert merken muss (vgl. «Ohne eingebauten Kompass», S.   59). Diese Schriftsprache ist so schwierig, dass noch nicht einmal jeder Sinologe sie lesen kann. Das stellte sich einmal mehr im Jahr 2008 heraus, als die deutsche Max-Planck-Gesellschaft auf dem Titel ihrer Zeitschrift Max-Planck-Forschung einen chinesischen Text abdruckte, der «heiße Mädchen» anpries – offensichtlich Werbung für eine Karaoke-Bar oder einen Puff. Weil einige Chinesen darüber ihr Unverständnis äußerten, entschuldigte sich die Redaktion der Zeitung mit der Behauptung, der Text sei vor Abdruck von einer Sinologin geprüft worden. Er habe aber eine «tiefere Bedeutungsebene», die sich selbst einem Muttersprachler nicht sofort erschließen würde. Dazu bemerkte der Kolumnist Alex Lo in der South China Morning Post: Worum es in dem Text gehe, sei jedem klar, «der auch nur über rudimentäre Chinesisch-Kenntnisse verfügt. Es gibt keine tiefere Bedeutung als die Sache, für die geworben wird.» Der spitzzüngige Herr Lo fragte sich angesichts dieser kleinen Affäre, ob der Terminus «deutscher Sinologe» nicht eventuell ein «Oxymoron» sei, ein Widerspruch in sich.
     
    Wenn aber noch nicht einmal Leute eine Sprache lesen können, die sie jahrelang studiert haben, zeigt das letztlich, dass das ganze Schriftzeichensystem ineffektiv, unvernünftig und vorsintflutlich ist. Das wissen natürlich auch viele Chinesen. Deshalb gab es in den letzten hundert Jahren immer wieder Versuche, die Zeichen abzuschaffen und sie durch ein phonetisches Alphabet zu ersetzen. In Vietnam, wo die Landessprache auch mit Schriftzeichen geschrieben wurde, glückte diese Reform bereits im 17. Jahrhundert. In China stellten sich vor allem die Aktivisten der revolutionären «Vierter-Mai-Bewegung» von 1919 an die Spitze der Schriftreformbefürworter, darunter der berühmte Schriftsteller Lu Xun. Der erklärte höchst dramatisch: «Wenn die Zeichen nicht abgeschafft werden, wird China untergehen.» China ging aber nicht unter, und der Letzte, der versuchte, die Zeichen durch ein Alphabet zu ersetzen, war Mao Tse-tung. Doch auch der Große Vorsitzende scheiterte an der Vielzahl von Problemen, die eine Umstellung mit sich bringen würde.
     
    Um ein phonetisches Alphabet in China durchzusetzen, müsste man sich nämlich erst einmal auf eine verbindliche Aussprache einigen. Dazu wurde 1913 in Peking die erste «Konferenz zur Vereinheitlichung der Aussprache» einberufen, auf der sich Nord- und Südchinesen schwer bekämpften. Schließlich scheiterte die Konferenz, als sich ein Vertreter der Nordchinesen tödlich beleidigt sah. Ein Südchinese hatte im Shanghaier Dialekt von einer «Rikscha» gesprochen, der Nordchinese aber «Schildkrötenei» verstanden, ein übles Schimpfwort, das er auf sich bezog. Der Nordchinese konnte gerade noch von einer Prügelei abgehalten werden, verließ aber stante pede die Konferenz.
    Einigen Reformern war damals bereits klar, dass sich Nord- und Südchinesen niemals auf eine einheitliche Aussprache einigen würden. Sie schlugen deshalb vor, das Chinesische gleich ganz abzuschaffen und es durch Esperanto zu ersetzen. Eine exzellente Idee, der leider niemand folgen wollte. Die verschiedenen chinesischen Dialekte blieben und damit leider auch die Zeichen.
     
    Die werde ich in diesem Leben gewiss nicht mehr lernen, weil es einfach zu viele sind. Immerhin wurde aber 1956 eine verbindliche phonetische Umschrift auf Basis des lateinischen Alphabets für das Hochchinesische eingeführt,

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