Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Besonders clever war das sicher auch nicht. Im Titel des Videos enthüllte sie gleich mit, dass sie im Shanghai Orient Shopping Center in einem Laden arbeite, der Bekleidung der in China hochbeliebten italienischen Marke «Kappa» verkaufe. So kam das Kappa-Girl zu seinem Namen.
Das Video wurde bald millionenfach heruntergeladen und war, wie die Shanghaier Polizei der Tageszeitung China Daily erklärte, bald eins der populärsten Videos in China überhaupt. So wurde Frau Kappa eine Berühmtheit. Nach chinesischer Art versuchte sie sofort, daraus Kapital zu schlagen. Sie eröffnete ein Blog, in dem sie ankündigte, dass man sie mieten könne: Ein Auftritt in einer Bar koste zwanzigtausend Yuan, ein Exklusivinterview dreißigtausend, und für fünfzigtausend würde sie in Unterwäsche posieren. Dabei zeigt das Video, das sie berühmt machte, nur etwas so Unspektakuläres wie Fellatio – im Internet heutzutage Massenware. Das einzig Bemerkenswerte an dem Film ist wohl, dass der Mann rund zehn Minuten braucht, bis er kommt, obwohl Frau Kappa recht intensiv an ihm herumlutscht. Dafür wurde er auch prompt von einigen Internetkommentatoren bewundert: «Ehrlich», meinte ein Poster im Shanghaier Internetforum KDS, «das Stehvermögen des Kappa-Typen ist nicht schlecht.» Ein anderer gab daraufhin sofort als neue Losung aus: «Veranstaltet keine Menschenfleischsuche nach der Frau, sucht den Mann stattdessen!»
Aber natürlich war man nach wie vor mehr an der Frau interessiert. Vor dem Kappa-Laden in der Shanghaier Shopping-Mall kam es zu Tumulten, als Männerhorden einen Blick auf die berühmte Angestellte werfen wollten. Da hatte das Kappa-Girl jedoch schon längst gekündigt. Am Ende waren es dann auch nicht die Laienfahnder im Internet, die die wahre Identität der Frau enthüllten, sondern die Shanghaier Polizei. Im Dezember 2008 wurde Frau Kappa festgenommen. Bei ihren Karriere-Ambitionen hatte sie schlicht übersehen, dass die Verbreitung von Pornographie in China verboten ist, und sei sie noch so miserabel.
Das Pornoverbot ist natürlich bedauerlich. Allerdings frage ich mich, was wohl passieren würde, würde die Zensur in China von einem Tag auf den anderen abgeschafft. Wahrscheinlich würden das Kappa-Girl und die Katzenkillerin einen Fernsehsender gründen, der bald der populärste im ganzen Land wäre. Dort käme dann auch die Erdbebenberichterstatterin Gao Qianhui unter; sie könnte ja die politischen Kommentare sprechen. Kurze Zeit später würden die Menschenfleischfahnder die Polizeigewalt in China übernehmen, und regieren würde Li Hongzhi, zusammen mit seinen kosmischen Falun-Gong-Kurieren. Dieses China würde eventuell Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gefallen. Ich aber müsste mir ein neues Heimatland suchen.
28 Lachende Blinde
Über das Lachen der Chinesen haben sich schon viele Nichtchinesen den Kopf zerbrochen. Tatsache ist: In China lacht man sehr gerne und mehr als in manch anderem Teil der Welt. Die Frage lautet allerdings bis heute: worüber eigentlich? Der Amerikaner Paul Theroux, der viel in China reiste und kompetent darüber schrieb, versucht in seinem Buch «Riding the Iron Rooster», die Lachauslöser zu klassifizieren: «Das chinesische Lachen ist selten eine Reaktion auf etwas Komisches – für gewöhnlich bedeutet es: ‹Ha ha, wir stecken tief in der Scheiße› oder ‹Ha ha, ich wünschte, du hättest das jetzt nicht gesagt› oder ‹Ha ha, ich habe mich noch nie in meinem Leben so elend gefühlt›.»
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Yu-Chien Kuan und Petra Häring-Kuan, ein chinesisch-deutsches Ehepaar, in ihrem «China-Knigge», der sich dem Lachen von der historischen Seite nähert: Die Schauspieler der traditionellen chinesischen Oper, heißt es hier, müssen «jede Nuance des Lachens beherrschen. (…) Dort findet man das gebrochene, bittere, verächtliche und das kalte Lachen, das Lachen des Glücks, der Zufriedenheit, das der Verzweiflung und des Hohns.» Auch in diesem Kanon fehlt das Lachen über Komisches.
Kann es also sein, dass die Chinesen das Komische gar nicht kennen? Man könnte zu dem Ergebnis kommen, wenn man chinesische Witze betrachtet. Die Chinesen behaupten zwar, sie seien sehr lustig. Ihre Komik aber erschlösse sich den Westlern kaum, da sie voller subtiler Anspielungen auf viertausend Jahre chinesischer Geschichte seien. Ich kann das leider nicht überprüfen, weil ich ja letztlich auch ein Westler bin. Ich weiß nur, dass ich bis heute
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