Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
andere Deutsche leben; und schon gar nichts habe ich gegen deutsche Restaurantbesitzer. Nach monatelangem Genuss von Hühnerfüßen, Entenzungen und tausendjährigen Eiern braucht man ab und zu eine Roulade mit Kartoffelbrei und Rotkohl. Nur, müssen die deutschen Restaurants hier wirklich «Der Landgraf», «Bodenseestuben», «Drei Kronen» oder «Schindlers Tankstelle» heißen, respektive «Schindler’s Fillingstation»? Gut, der Besitzer heißt Steffen Schindler. Und er hätte seinen Laden auch «Schindlers Getränkeliste» bzw. «Schindler’s Gasstation» nennen können (oder, wie Poster elrey im Internetforum von The Beijinger vorschlägt: «Goebbels Grill»). Trotzdem.
Ich bin durchaus damit einverstanden, dass der «Jenny Lou»-Supermarkt – neben Pflaumenmus von «Die Sparsamen», Curry-Gewürz-Ketchup von «Hela» («Mit der besonderen Hela Würzung») und «Viola»-Müsli aus Bielefeld – Brot vom deutschen Bäcker führt. Der heißt «Der Bäcker» und verkauft sein Misch- und Vollkornbrot in Papiertüten, auf denen «Der natürliche Weg» steht. Inzwischen hat er sogar Konkurrenz bekommen, vom deutschen Bäcker des «Café Konstanz», dessen Brot noch etwas leckerer schmeckt. Wir deutschen Exilanten sind hier besser mit Nahrungsmitteln von zu Hause versorgt, als wir es in Rom oder Paris wären.
Meinetwegen kann es auch den ganzen sonstigen Krempel geben, den ein Deutscher für seine Existenz im Ausland für unentbehrlich hält: den von der Deutschen Handelskammer zu Peking jährlich im hiesigen Kempinski organisierten deutschen Ball (Thema 2008: «Flower Power») beispielsweise, den deutschen Weihnachtsbasar auf dem Botschaftsgelände, mit Glühwein, Currywurst und Tausenden von Besuchern, die Festivitäten zum Tag der Deutschen Einheit oder die Karnevalspartys im «Landgraf», inklusive Kölsch vom Fass und Wahl einer chinesischen Karnevalsprinzessin. Ich will mich noch nicht einmal darüber beschweren, dass die Chinesen die Deutschen beinahe so sehr lieben wie sich selbst. Das mag daran liegen, dass wir ihnen einst das Bier («Tsingtao») gebracht haben, das man sich hier schon mittags einzuverleiben pflegt, und später dann den VW Santana und den Siemens-Kühlschrank. Dafür haben sie alles Negative vergessen. Die berühmte Rede von Kaiser Wilhelm II. beispielsweise, der 1900 dem deutschen Expeditionscorps auftrug, sich bei der Niederschlagung des Boxeraufstands so aufzuführen wie die Hunnen, «dass niemals ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen». Verdrängt hat man auch irgendwie Deutschlands Beteiligung am Zweiten Weltkrieg. An dem scheinen nur die Japaner schuld zu sein, die dafür bis heute leidenschaftlich gehasst werden.
Wahrscheinlich wird in China inzwischen schon geglaubt, Hitler und die deutschen Nazis hätten Hand in Hand mit dem chinesischen Widerstand gegen den Erzfeind gekämpft. Anders ist das große Angebot an Hitler-, Göring- und Rommelbiographien in den Buchhandlungen kaum zu erklären. An den Kiosken gibt es sogar Magazine zu kaufen, die «Fallschirm» (in Fraktur) heißen und in denen es nur um die tollen Abenteuer von «German Parachutists 1939 – 1945» geht. Ich kann diese Hefte nicht lesen, aber darin sind seitenweise Fotos von Nazi-Offizieren, Wehrmachtsuniformen und Uniformteilen abgebildet, dazwischen auch mal Grabsteine, auf denen Sätze wie diese stehen: «Hier ruhen 20 Kameraden der 1. Fallschirm-San-Abteilung. Gefallen am 20. 5. 41 für Führer und Vaterland.» Die These von den guten Nazis im antijapanischen Widerstand wurde nochmal voll untermauert, als es mich in Peking auf eine große Party von chinesischen Uniformfetischisten verschlug. Hier tummelten sich zwischen den Trägern alter chinesischer und US-amerikanischer Uniformen sechs Leute in Wehrmachts- und Waffen-SS-Uniformen, und ein Mann lief in einer schwarzen SS-Uniform herum, stilecht mit rot-weiß-schwarzer Hakenkreuzbinde um den Oberarm und einer SD-Ärmelraute. Nazi sei natürlich keiner von den Versammelten, versicherte man mir eifrig, und letztlich sei das Uniformanziehen in China nur ein großes, lustiges Spiel. Eine japanische Uniform trug trotzdem keiner.
Aber wie gesagt, mir ist das alles recht oder zumindest halbwegs egal, solange ich nicht jeden Tag SS-Männern begegne und für mich im Fahrstuhl der Daumen hochgeht, wenn ich sage: «Wo shi de guo ren», was wörtlich: «Ich bin Tugendlandmensch» bedeutet und übertragen: «Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher