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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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der auch in China sehr stark präsenten französischen Supermarktkette Carrefour organisiert, wenn in Paris mal wieder antichinesisch randaliert wird oder Nicolas Sarkozy den Dalai Lama trifft. Allerdings bricht die Boykottfront regelmäßig zusammen, weil die französischen Supermarktoffiziere mit besonders attraktiven Sonderangeboten kontern. Wenn etwas sehr billig ist, streicht auch der patriotischste Chinese die Segel.
    Erfolglose Boykottaufrufe gibt es auch in anderen Ländern. Die «Menschenfleischsuche», renrou sousuo, dagegen ist eine rein chinesische Internet-Spezialität. Gemeint ist das Aufspüren von korrupten Beamten, untreuen Ehepartnern oder Mitbürgern, die sich missliebig geäußert haben, mit den Mitteln des Internet. Praktisch spielt sich eine Suche so ab, dass zunächst das tatsächliche oder angebliche Delikt – oft anonym im Internet begangen – in einem Forum oder Chat bekannt gemacht wird. Es dauert meistens nicht lange, bis dann ein Chatter oder Forumteilnehmer die Parole «Menschenfleisch» ausgibt. Daraufhin machen sich sofort Tausende von «Netizens» an die Arbeit und tragen Details über den oder die Angeklagten zusammen. Meist dauert es nur wenige Stunden, bis sämtliche persönlichen Informationen des Gesuchten bekannt sind: Name, Wohnort, Arbeitsplatz, Personalausweisnummer und Familienverhältnisse. Jetzt kann die Internetgemeinde zur Beschimpfung des an den Pranger gestellten Delinquenten übergehen und seine Bestrafung fordern.
    Eine der ersten Menschenfleischjagden fand im März 2006 statt: Gesucht wurde eine junge Frau, die in einem Video ein Kätzchen mit ihren Stöckelschuhen brutal zu Tode trampelt. Das Video wurde ins Internet gestellt, um für eine DVD mit ähnlichen Tiermordfilmen zu werben. Die Menschenfleischjäger identifizierten zunächst den Ort des Katzenmordes, indem sie den Hintergrund des Videos genau analysierten. Dann fand jemand heraus, dass die Täterin ihre Mordstilettos über eBay erworben hatte. Kurze Zeit später war die Frau als die Krankenschwester Wang Jue aus Luobei in der Provinz Heilongjiang identifiziert. Nachdem sich über diese Frau eine Beschimpfungswelle ergossen hatte, entschuldigte sie sich bei den empörten Tierschützern damit, dass sie geschieden und deprimiert gewesen sei. Sie hätte nicht genau gewusst, was sie mit ihrem Leben anfangen solle, und deshalb die Katze umgebracht. Was man halt so macht, wenn einem mal ein bisschen fade ist.
    Noch vehementer als über die Katzenkillerin empörte sich Internetchina jedoch über eine junge Frau, die im Mai 2008 mit Hilfe der kollektiven Menschenfleischsuchmaschine aufgestöbert wurde. Die einundzwanzigjährige Gao Qianhui hatte sich darüber geärgert, dass nach dem großen Erdbeben von Sichuan so intensiv um die achtzigtausend Toten getrauert wurde. Kurzerhand ging sie in ein Internetcafé und besprach dort ihr Videoblog. Mit verschränkten Armen beschwerte sich die ziemlich einfältige Nuss darüber, dass sie aufgrund der staatlich angeordneten Trauer ihre Lieblingsserie nicht mehr sehen könne. Stattdessen kämen dauernd nur Verletzte und verweste Leichen. Wenn wenigstens mehr Leute gestorben wären. Es gäbe doch sowieso viel zu viele Chinesen: «Ich glaube, das Erdbeben war nicht stark genug.» Der Gipfel war dann, dass sie den Erdbebenopfern vorwarf, sich absichtlich ins Fernsehen und ins Internet zu drängen. «Glaubt ihr wirklich, ihr seid so gut aussehend? … In diesen Tagen kann man wirklich nirgendwo hingehen, ohne an euch dumme Fotzen erinnert zu werden.»
    Diese Ausführungen von insgesamt nur dreieinhalb Minuten Länge waren natürlich nicht die feine chinesische Art, und kaum hatte Qianhui sie online gestellt, hatten die Menschenfleischsucher schon alles über sie rausgefunden. Am nächsten Tag wurde sie sogar kurzfristig von der Polizei festgenommen. Am Ende ließ man das dumme Gör erst in Ruhe, nachdem sie selbst, ihr Bruder und ihre Eltern sich bei den Erdbebenopfern mehrmals entschuldigt hatten.
    Hatten die beiden Damen es vielleicht noch halbwegs verdient, von den Internetjägern dingfest gemacht zu werden, kann man das im Fall des sogenannten Kappa-Girls eigentlich nicht sagen. Dieser Fall, der im Herbst 2008 erste Schlagzeilen machte, ist wohl der bisher spektakulärste in der noch nicht allzu langen chinesischen Menschenfleischsuchgeschichte. Dabei hatte das Kappa-Girl nichts weiter getan, als ein Pornovideo von sich und ihrem Liebhaber ins Internet zu stellen.

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