Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Deutscher.» Da sehe ich den Chinesen auch noch nach, dass sie beinahe krankhaft in den deutschen Film vernarrt sind. Schließlich zwingt mich keiner, die DVD-Raubkopien von Höhepunkten des deutschen Filmschaffens wie «Vollidiot», «Der Untergang», «7 Zwerge – Männer allein im Wald» oder Leni Riefenstahls «Triumph des Willens» zu kaufen, die einem an jeder Ecke für ein paar Eurocent nachgeschmissen werden.
Von mir aus können sie auch «Rucki Zucki» im Supermarkt spielen, sich Angela Merkel statt Mao auf die Oberarme tätowieren lassen und die Pekinger Ringstraßen schwarz-rot-gold lackieren. Doch dass im staatlichen Fernsehen auch noch deutsche Unterhaltungssendungen laufen, geht irgendwie zu weit. So schaltete ich eines Tages arglos den Fernseher an, ohne damit zu rechnen, dass mir daraus Wigald Boning, Barbara Eligmann und Dickie Bach entgegenspringen würden, die seltsamerweise alle drei Chinesisch sprachen. Später fand ich heraus, dass ich eine synchronisierte Folge der SAT 1-Sendung «clever! – Die Show, die Wissen schafft» gesehen hatte. Das muss man sich mal vorstellen: SAT 1 im ehemals knallroten China.
Nun gut, es würde vielleicht noch auszuhalten sein, wenn der SAT 1-Nachhilfeunterricht der einzige deutsche Fernsehexport nach China wäre. Doch von wegen. Abends läuft hier auch noch «Wetten, dass ..?», und zwar nicht einmal im Monat, sondern wöchentlich jeden Sonntagabend. Die chinesische Variante heißt allerdings ein wenig anders. Weil das Wetten in China streng verboten ist, nennt sich die Show «Xiang tiao zhan ma?», was so viel wie «Wollen Herausforderung?» bedeutet. Neben chinesischen Stars und Wettkandidaten tritt da mindestens ein Deutscher auf, der eine Wette wiederholt, die er vor Jahren schon mal in der Originalsendung präsentiert hat. Inzwischen habe ich schon einen «Wetten, dass ..?»-Pensionär gesehen, der fünfzehn Minuten lang mit den Zähnen leere Bierkästen balancierte, eine beleibte Blondine in roter Jogginghose, die mit der bloßen Faust dicke Ytong-Platten zertrümmerte, und zwei Männer, von denen der eine ein Auto fuhr, während der andere über der Kühlerhaube hing und auf der Radkappe eine Vase töpferte. Den Chinesen muss das alles gut gefallen, lieben sie doch nichts so sehr, wie wenn sich ein Ausländer öffentlich zum Affen macht. Noch schlimmer als die Gastauftritte aber ist: Weil die Chinesen von «Wollen Herausforderung?» (fünfzig Millionen Zuschauer, Tendenz steigend) nicht genug kriegen können, zeigen sie hier manchmal auch das Original. Es war mitten während eines schwülen Augusts, als ich auf CCTV 3 offenbar die x-te Wiederholung der «Wetten, dass ..?»-Folge sah, die in Deutschland am Pfingstsonntag aus einem Amphitheater nahe der türkischen Stadt Antalya übertragen wurde. Hier sprach mich plötzlich Tuo Ma Si Gao Sha Ke direkt an, im weißen Anzug und kongenial launig übersetzt von einem Synchrondolmetscher. Dann brach «Rockgigant» Peter Maffay in mein Wohnzimmer ein und sang «Halt dich an mir fest», während Heiner Lauterbach – der Dolmetscher nannte ihn nur Han Ne – sich auf dem Sofa an seiner Frau festhielt und später Rilkes «Panther» zuschanden deklamierte. «Nein, nein!», schrie ich in meiner Pekinger Wohnung, «ich nicht wollen das Herausforderung!» Schließlich war ich einst auch ausgewandert, um genau dieses Fernsehelend nicht mehr ertragen zu müssen.
Danach überlegte ich ernsthaft, ob ich China nicht doch wieder verlassen sollte, bevor auch noch Peter Hahne, Rex Bushido o. s. ä. und der Rest der Bagage in mein Leben einbrechen würden. Aber weil man letztlich nirgendwo auf der Welt vor deutscher Fernsehunterhaltung sicher ist, entschied ich mich am Ende doch fürs Bleiben. Ich meide allerdings seitdem den Anschaltknopf des Fernsehers wie Dracula das Kreuz.
30 Der Fluch der Saiga-Antilope
Als Westler in China zu leben, ist eigentlich sehr angenehm. Es ist allerdings auch mit Risiken verbunden. Die ungewohnte Umgebung, die enormen Menschenmassen, mit denen man täglich in den Straßen konfrontiert wird, die Enge und der andauernde Krach können bei labilen Persönlichkeiten zu psychischen Problemen führen. Das haben zumindest westliche Psychologen und Psychiater festgestellt, die in China arbeiten und forschen.
Mir machen Krach, Enge und Menschenmassen im Grunde nichts aus. Ich habe mich diesen Umweltbedingungen jahrzehntelang in westlichen Bars, Kneipen und Discos ausgesetzt, um mich so zu
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