Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
bisher, sie kämen aus der Pekinger Innenstadt und nicht aus einem anderen Weltraum.
Aber die Falun-Gong-Dämonen haben noch mehr drauf, als nur Krawall zu machen. So ermuntern sie beispielsweise zum «Eigensinn», einer üblen Sache. «Ein Universitätsstudent», schreibt Meister Li uns zur Warnung, «hatte die Fähigkeit zur Gedankenkontrolle entwickelt. Diese Kultivationsfunktion kann dazu benutzt werden, mit seinem Denken die Gedanken anderer zu steuern. Und er benutzte diese Funktion, um Schlechtes zu tun. Manche Praktizierende bekommen bei ihrer Praxis Visionen zu sehen. Nun wollen sie unbedingt sehen, was sie sind und was tatsächlich passiert ist. Das ist auch eine Art Eigensinn.»
Sehen, was tatsächlich passiert, und «Eigensinn» – offenbar so etwas wie selbständiges Denken –, das sieht Li Hongzhi nicht gerne. Er selbst dagegen kann recht eigensinnig sein. So rät er beispielsweise seinen Anhängern von Besuchen westlicher Ärzte ab, denn einem Falun-Gong-Praktizierenden könnten von Dämonen verursachte Krankheiten nichts anhaben. Grund: «weil ich schon eine Schutzkappe mit hoher Energie um deinen Körper gelegt habe».
Der durchschnittliche chinesische Surfer interessiert sich aber sowieso nicht für die Falun-Gong-Seiten. Er ist in der Regel ziemlich jung und nutzt das Internet zum Filme gucken oder Egoshooter und Adventures spielen. Popkart und World of Warcraft gehörten 2007 zu den fünf beliebtesten Multi-Player-Games in chinesischen Internetcafés, Counter Strike führte die Liste bei den Single Playern an. Viele spielen nur zum Spaß, aber manche verdienen so auch ihren Lebensunterhalt. Etwa hunderttausend junge Chinesen, so weiß die New York Times, arbeiten online auf sogenannten Goldfarmen, youxi gongzuoshi, wo sie virtuelle Münzen erwerben, mit denen man virtuelle Waffen oder Rüstungen kaufen kann. Die Chefs dieser Online-Spieler verkaufen dann die virtuelle Währung gegen echtes Geld ins westliche Ausland oder nach Japan oder Korea und zahlen davon ihren Angestellten das Gehalt. Vollkommen irrsinnig ist, dass ausgerechnet diese Internetsklaven nach einem zwölfstündigen Arbeitstag am Bürorechner noch in ein Internetcafé gehen, um dort «zur Entspannung» weiterzuspielen. Internetcafés sind in China meistens keine kleinen Butzen, sondern riesige Hallen, oft mit Hunderten von Rechnern. An einer Bar kann man Getränke kaufen oder kleine Snacks und Instantnudelsuppen, denn viele Surfer sitzen tagelang vor den Rechnern und essen und schlafen auch in den Sesseln. Wer aber nicht spielt, der chattet. 2007 nutzten hundertsechzig Millionen Chinesen QQ, einen Instantmessenger wie AIM oder Skype. Damit hat dieser im Ausland weitgehend unbekannte Messenger die drittmeisten Nutzer auf der Welt.
Vielleicht sind es inzwischen aber auch schon die meisten, denn Ende 2008 gab es bereits zweihundertachtundneunzig Millionen registrierte Internetnutzer in China, mehr als in jedem anderen Land auf diesem Planeten. Wenn man Liu Zhenrong, dem stellvertretenden Direktor des staatlichen Internetbüros, glauben darf, kommen täglich zweihundertvierzigtausend dazu. Nicht jährlich, monatlich, wöchentlich. Täglich! Und überall in China sieht man QQ-Nummern. Sie stehen auf Visitenkarten oder werden zum Zwecke der Werbung für sich selbst oder die eigenen Produkte sogar an entlegene Felswände in Tibet oder Yunnan gesprüht. Natürlich wird nicht nur gechattet, sondern auch in Foren gepostet, und es wird gebloggt, was die Tasten hergeben. Nach Angaben der South China Morning Post haben zweiundvierzig Prozent aller Internetchinesen auch ein eigenes Blog. Die Chinesen kommunizieren eben gerne. Nur gut, dass man das Internet nicht hören kann, denn allein das chinesische Netzgeschnatter wäre wohl laut genug, um das gesamte Universum zum Einsturz zu bringen. Und worüber wird sich da die ganze Zeit so munter ausgetauscht?
Auf jeden Fall wird viel geflirtet. Jungs und Mädchen sitzen in verschiedenen Internetcafés und schmachten sich via Kamera und Bildschirm gegenseitig an. Unerklärlich ist allerdings, weshalb sie sich nicht mal ihren Sitznachbarn zuwenden … Gebloggt, so weiß ein Marktforschungsunternehmen, wird hauptsächlich über Prominente, Entertainment, Lifestyle und Persönliches. Politisch engagierte Menschen organisieren auch gerne online den Boykott ausländischer Produkte, und zwar immer dann, wenn ihnen die Politik eines bestimmten Auslands nicht passt. So wird jedes Mal ein Boykott
Weitere Kostenlose Bücher