Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
ertragen und gab auf, um sich wiedervereinigen zu lassen. Dasselbe wird sicher in absehbarer Zeit auch mit Taiwan passieren.
Die einzige Schwierigkeit, auf die man bei der Vereinigung treffen wird, sind die altchinesischen Langzeichen, die auf Taiwan, genauso wie in Hongkong und Macau, noch benutzt werden. Auf dem Festland sind nämlich seit der Schriftreform in den fünfziger und sechziger Jahren vereinfachte Zeichen üblich. Sonst wird auch nach der Vereinigung gewiss alles so bleiben, wie es ist, das heißt, Taiwan wird das Festland weiter hauptsächlich mit Soft-Pop (Jay Chou, S. H. E, Wang Lee-Hom) und lustigen Filmen versorgen.
Die Bewohner Hongkongs, Macaus und Taiwans zählen allerdings nicht zu den Überseechinesen, auch wenn zwischen Festlandchina und Taiwan das Ostchinesische Meer liegt. Die drei Territorien werden zusammen mit dem Festland «Greater China» genannt. Doch eigentlich müsste unser ganzer Planet so heißen, weil überall dort, wo ein Chinese lebt, auch ein Stück China ist. Wie wir in Lektion zwei gelernt haben, stellen die Überseechinesen im Staat Singapur sogar die Mehrheit der Bevölkerung. In anderen Ländern Südostasiens bilden sie große Minderheiten. In Thailand sind 11,7 Prozent chinesischstämmig, in Indonesien, Vietnam und Myanmar je drei Prozent. In Malaysia leben sieben Millionen Überseechinesen. Das sind immerhin ein Viertel der Bevölkerung. In fünf von neun Bundesstaaten und fast allen Großstädten sind sie bereits in der Mehrheit. Wenn ich in diesen Regionen mit meiner Dolmetscherin unterwegs bin, profitiere ich nicht wenig von dieser Verstreutheit der Chinesen. Im «Neue Moral Snack»-Restaurant im myanmarischen Mandalay zum Beispiel unterhielten wir uns zwei Stunden lang mit einem alten Mann, der an der Südküste Chinas aufgewachsen war, dann in den Dreißigern in Shanghai studiert hatte, um schließlich mit den nationalistischen Kuomintang-Truppen in Burma zu landen. Er trug eine Pelzmütze und rief die ganze Zeit: «Ich bin zweiundneunzig Jahre alt. Glaubt ihr das?» Der Wirt des Restaurants war sein Sohn und bereits in Burma geboren. Er gab uns Rabatt, weil wir uns so prächtig mit dem Alten verstanden und zudem aus der alten Heimat kamen. Im Restaurant am Busbahnhof in Phnom Penh bestellten wir problemlos unser Essen, denn die Speisekarte war nicht nur auf Khmer, sondern auch auf Chinesisch. Außerdem gab es hier ein paar gute Tipps für die Weiterreise.
Auf Bali krähte uns ein kleiner Mann fröhlich an: «Ich bin auch Chinese.» Das stimmte wohl, auch wenn er keineswegs so aussah und auch kaum mehr Chinesisch sprach als ich. Er zeigte uns einen buddhistisch-daoistischen Tempel, wo meine Dolmetscherin dem durchweg chinesischstämmigen Personal mehrere chinesische Inschriften übersetzte, die es selbst nicht lesen konnte.
Noch besser erging es uns in Bandar Seri Begawan, der Hauptstadt des Sultanats Brunei auf der Rieseninsel Borneo. Hier sind fünfzehn Prozent der Einwohner Chinesen. Einer von ihnen, ein Taxifahrer, rettete uns vor der bruneiischen Taxifahrermafia. Er fuhr uns zum normalen Tarif, zu dem man hierzulande Ausländer normalerweise nicht transportiert. Dabei verriet er uns die Adresse einer Flüsterkneipe, in der man Alkohol ausschenkte. Das ist in dem islamischen Land eigentlich streng verboten, doch Chinesen kennen eben überall einen Weg. Auf jeden Fall hätten wir ohne unseren chinesischen Bruder geschlagene drei Tage auf dem Trockenen gesessen. Auch in dem von Fundamentalisten regierten malaysischen Bundesstaat Kelantan kann man sich bei der Bierversorgung eigentlich nur auf Chinesen verlassen. Man achte hier besonders auf chinesische Omas, die in ihren Kramläden hinter großen Mengen Softdrinkdosen meistens ein paar Flaschen Tiger-Bier gelagert haben.
Doch auch jenseits der Grenzen Südostasiens können meine Dolmetscherin und ich auf chinesische Unterstützung rechnen. In Australien beispielsweise leben fast siebenhunderttausend ethnische Chinesen, davon die Hälfte in Sydney. Und wie man aus zahlreichen Filmen weiß («Chinatown», «Im Jahr des Drachen», «Hollywood Chinese»), gibt es auch in den USA unzählige Chinesen. Die ersten trafen hier bereits im Jahr 1820 ein. 2007 war ihre Zahl nach Angaben des U.S. Census Bureau auf genau 3 538 407 angewachsen. Unter ihnen sind etliche amerikanische Weltberühmtheiten, wie der 1917 in Kanton geborene Architekt Ieoh Ming Pei, die Modeschöpferin Wang Weiwei, besser bekannt als
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