Blind Date mit Folgen - Roman
heute als morgen, es ging schließlich nicht nur um sie, sondern auch um Michel. Allein seinetwegen musste sie wissen, was genau in Alex’ Kopf vor sich ging, nur so hatte die Familie eine Chance intakt zu bleiben. Wenn sie den Istzustand kannte, konnte sie mit der richtigen Strategie den Sollzustand erreichen. Wenn das im Job klappte, musste es auch zu Hause funktionieren. Sie hatte es schon einmal geschafft.
Als Deborah die Badezimmertür öffnete, hörte sie ein Geräusch aus der Küche und Michels Aufschrei. Eilig lief sie zu ihm und sah den Wasserbecher am Boden liegen. Dreckig braune Farbe ergoss sich über den ganzen Küchenboden. Das Handy lag unversehrt außer Reichweite.
»Scheiße!«, entfuhr es Deborah. »Kannst du nicht aufpassen!« Sie nahm Michel an den Schultern und schüttelte ihn durch, bis er Tränen in den Augen hatte und zu weinen begann. Die Ruhe und ihre Selbstbeherrschung waren auf einmal verflogen.
»Was ist denn hier los?« Alex stand im Türrahmen. »Deborah, hör auf! Du tust ihm weh!«, schrie er wütend. Er zog sie von Michel weg und nahm ihn hoch.
»Ist ja gut, du brauchst nicht zu weinen.« Michel vergrub sein Gesicht an Alex’ Brust. Dann sah er das Telefon auf dem Boden liegen.
»Hast du mit dem Handy rumgespielt, Michel? Das solltest du doch nicht.« Mit Michel im Arm umlief Alex die Wasserlache, hob das Handy auf und legte es auf den Tisch.
»Diese Sauerei!« Fassungslos sank Deborah auf einen Stuhl.
»Ist ja gut. Das kann passieren, beruhige dich.« Er platzierte Michel in seinen Kindersessel und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Nun konnte sie es nicht mehr aufhalten. Sie schlug die Hände vors Gesicht und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Statt sie zu trösten, begann Alex, den nassen Boden trocken zu wischen.
Michel starrte sie verstört an. Er hatte seine Mutter noch nie weinen sehen.
»Es tut mir leid, mein Schatz«, unter Tränen zog Deborah ihren Sohn aus seinem Stuhl und nahm in den Arm. »Es tut mir so leid. Mama hätte nicht schimpfen dürfen.« Sie wischte erst ihm die Tränen weg, dann sich selbst. Michels verunsicherter Blick entmutigte sie vollends.
»Böse mit Michel?«
»Nein, nein.« Nicht auf dich, wollte sie sagen. Sie behielt es für sich.
»Ich mach das schon, Alex, lass nur.« Deborah setzte Michel ab und wollte aufstehen, doch Alex drückte sie zurück in den Stuhl.
»Hab’s im Griff, ist okay. Was ist eigentlich in dich gefahren?« Er wrang den Lappen im Waschbecken aus und kniete sich wieder hin. Sie musste sich zusammenreißen, um bei dieser heuchlerischen Szene nicht laut hinauszulachen. »Was soll die Hysterie? Es ist ja nur Wasser«, meinte er verächtlich. Michel beobachtete die Szene aufmerksam. »Und der Becher ist ja nicht aus Glas. Musst du gleich ausflippen?« In Gegenwart ihres Sohnes in diesem Ton mit ihr zu sprechen, war unfair und erniedrigend. Nun wusste Deborah, was sie zu tun hatte.
40
Sven war voller Euphorie. Er saß in einem Fauteuil im hinteren Teil der Lounge und wartete geduldig. Das Hotel war zwar recht gediegen, traf aber seinen Geschmack überhaupt nicht. Ihm gefielen moderne Bauten und hippe Einrichtungen besser. Die schweren Teppiche und die Marmorsäulen waren nach seinem Dafürhalten von gestern. Und der Raum war viel zu hell. Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch die Glaskuppel direkt auf sein Sitzpolster und auch auf sein Gesicht, ein architektonisches Meisterwerk war das nicht gerade, im Gegenteil. Aber das zeichnete die Architekten von heute – eine weitere Berufsgattung, die Sven für völlig überbewertet und überbezahlt hielt – ja aus: Architekten hielten sich für so unwiderstehliche, geile Typen, dass sie Häuser oder Möbel mehr für sich und ihr immenses Ego entwarfen, als sie den Bedürfnissen der Kunden anzupassen. Da sie selbst nie darin lebten oder saßen, mussten sie nicht unter ihren eigenen Folterinstrumenten leiden, wie dem Designersessel für Nackenschmerzen oder der untauglichen Anordnung der Küchengeräte für den Bandscheibenvorfall. Was für stupide, ahnungslose Nullpeiler.
Sven nippte an seinem Scotch und sah sich um. Für einen frühen Samstagabend wimmelte es nicht gerade von Leuten, umso besser. So wären sie ungestört. Er fühlte die Zigarettenpackung in der Brusttasche seines Jacketts, aber da er sich vorhin auf der Toilette eine kleine Linie gezogen hatte, war er ruhig und brauchte überhaupt kein Nikotin.
Er hatte dem Israeli vor ein paar Tagen mit
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