Blind ist der, der nicht lieben will
Tristan und gähnte. „Hab schlecht geträumt.“
„Worüber?“, wollte Nick wissen.
„Connor.“
Aha. Ein Name, der ihm auch ohne weitere Erklärung beinahe alles sagte. Nick seufzte innerlich, ließ sich neben dem Felsen ins Gras sinken und streckte die Beine aus. „Erzählst du es mir?“
Schweigen. Eine ganze Weile sogar, aber das kannte er bereits zur Genüge. Tristan sprach äußerst ungern über die Zeit, in der es Connor schlecht gegangen war, wobei 'schlecht' nicht mal im Ansatz ausdrückte, wie schlimm es um Tristans Bruder teilweise gestanden hatte. Dabei war sich Nick durchaus darüber im Klaren, dass er nur einen Bruchteil dessen wusste, was Connor seinem Bruder erzählt hatte. Er hatte oft versucht, mit Tristan darüber zu reden, aber der hatte abgeblockt und jedes Mal gesagt, er könne über gewisse Dinge einfach noch nicht reden. Vielleicht konnte er es jetzt.
„Erinnerst du dich noch an die Nacht, als Dad anrief und sagte, dass er weg ist?“, fragte Tristan plötzlich in die eingetretene Stille hinein und riss ihn aus seinen Gedanken.
Nick schauderte unwillkürlich. Stille? Der Wald war eigentlich nie still, doch im Augenblick hatten sogar die Vögel aufgehört zu singen, was gruselig war. Aber er bekam nicht nur wegen der unnatürlichen Stille eine Gänsehaut, sondern auch, weil Tristans Frage in seinen Ohren ganz merkwürdig klang. Er wusste nicht, wie er es mit Worten beschreiben sollte, aber Nick spürte instinktiv, dass, was immer Connor in jener Nacht zu Tristan gesagt hatte, den tief getroffen haben musste.
„Wie könnte ich die vergessen“, antwortete er schließlich leise. „Mitten in deiner Vorstellung im Theater... das einzige Stück, das ich jemals gesehen habe, wo in der Pause die Zweibesetzung deine Hauptrolle übernehmen musste. Was für ein Chaos.“
„Hm“, machte Tristan zustimmend und seufzte im Anschluss daran. „Willst du wissen, was er zu mir gesagt hat, als ich ihn endlich fand?“
„Sag's mir“, verlangte Nick, obwohl er Angst vor dem hatte, was Tristan ihm gleich erzählen würde.
„'Du kannst mir nicht helfen, Tris. Ich bin eben völlig kaputt, dagegen kannst du nicht mehr machen. Es bringt auch nichts, weiter darüber zu reden, das macht alles nur noch schlimmer. Ich habe es so satt, ich will nicht weiterleben. Jede Nacht, jeder Tag - immer derselbe Alptraum. Lass mich einfach gehen.' Darauf habe ich ihm geantwortet, 'Wenn du mich verlässt, Con, dann folge ich dir.'“
Nick wurde speiübel. „Wie bitte?“, fragte er fassungslos, in der Hoffnung, sich verhört zu haben, und sah zu Tristan.
Der schaute ihn nicht an, sondern starrte stur geradeaus. „Wir saßen auf dem Geländer der Brücke, zwischen uns sein Rasiermesser. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er nur das Messer benutzen, springen oder beides tun sollte. Also habe ich ihm gesagt, er soll beides machen, damit es auch funktioniert.“
„Was hast du?“ Nick erkannte seine Stimme kaum wieder.
„Und danach habe ich zu ihm gesagt, 'egal, wie du es machst, ich mache es dir nach'.“
„Halt die Klappe!“ Nick sprang auf, die Hände vor Wut zu Fäusten geballt. „Bist du denn völlig bescheuert? Du wahnsinniger...“ Er unterbrach sich abrupt, weil er sonst zu weit gegangen wäre. „Ich gehe eine Runde spazieren, sonst rutscht mir die Hand aus. Wag es ja nicht, dich von hier weg zu bewegen. Ich brauche nicht lange.“
Er wartete gar nicht auf Tristans Erwiderung, sondern verschwand zwischen den Bäumen, um sich abzukühlen. Was, verfickte Hölle noch eins, hatte Tristan sich nur dabei gedacht? Mit einem potenziellen Selbstmörder so zu reden? Vor allem, wenn der ein Rasiermesser bei der Hand hatte und auf einer Brücke saß. Auf einer... Großer Gott. Nick holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Es klappte nicht, denn das Schlimmste an der ganzen Sache war für ihn das Wissen darum, dass Tristan seine Worte wahr gemacht und seinem Bruder in den Tod gefolgt wäre. Wieso, verflucht noch mal, erzählte Tristan ihm das? Nein, nicht wieso, sondern, warum tat er es erst jetzt? Wie viel schleppte Tristan eigentlich noch mit sich herum und wieso sprach er nicht darüber?
Himmel, er hätte diesen sturköpfigen Bock beinahe verloren. Ganz zu schweigen von Connor. Nick blieb vor einem Baum stehen, starrte die Rinde an und schlug im nächsten Moment zu. Der bis in seine Schulter hinauf jagende Schmerz, ließ ihn leise aufstöhnen. So ein verdammter Mist. Wieso hatte er sich damals bloß
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