Blind ist der, der nicht lieben will
Tristan, als ihm klar wurde, dass der mindestens eine gebrochene Rippe haben musste.
Er half ihm sich wieder hinzusetzen und ging zum Schrank, um den Erste-Hilfe-Kasten herauszunehmen, damit er Tristan endlich mal versorgen konnte. Am liebsten wäre er mit ihm ins Krankenhaus gefahren, aber Nick wollte nicht die Polizei auf den Plan rufen, solange er nicht wusste, was überhaupt los war. Also tat er, was bei Tristan am besten funktionierte, er strafte ihn mit Schweigen. Und seine Taktik funktionierte auch dieses Mal.
„Nick, da war nichts.“
Nick knallte die Schranktür zu, worauf Tristan zusammenzuckte und ihn verunsichert ansah, während er sich mit der Hüfte gegen das Waschbecken lehnte und weiter schwieg. Es dauerte nicht lange, bis Tristan anfing auf dem Toilettendeckel herumzuzappeln, während sein Blick nervös durch den Raum huschte.
„Ich war sauer und habe die Typen provoziert. Mehr war nicht.“
„Du lügst!“ Tristan ballte die Hände zu Fäusten und Nicks erster Verdacht wurde zur furchtbaren Gewissheit. „Du sagst mir auf der Stelle was wirklich passiert ist, oder ich rufe Connor an.“
Das saß. Tristan erstarrte, dann hob er wie in Zeitlupe den Kopf und sah ihn an, um nach wenigen Sekunden in Tränen auszubrechen. Nick warf den Erste-Hilfe-Kasten einfach ins Waschbecken, bevor er zu Tristan lief, sich vor seinen Freund hockte und ihn in die Arme zog. Es war also wirklich Connor. Irgendwie hatte Nick seit Wochen darauf gewartet, dass Tristan deswegen die Nerven verlor. Seit sie aus Connor herausgeholt hatten, was dessen Exfreund ihm angetan hatte, kümmerte sich Tristan, so gut er konnte, um seinen Bruder, aber Nick musste kein Arzt sein, um zu wissen, dass das nicht leicht war und auf Dauer auch nicht funktionieren würde. Connor brauchte professionelle Hilfe, die Tristan ihm nicht geben konnte, so sehr er es auch wollte.
„Erzähl's mir, Tris“, bat Nick und strich Tristan behutsam über das Haar. „Was war los?“
„Ich war auf dem Heimweg von Ian, und da waren diese Typen vor der Bar bei Ian um die Ecke. Sie haben einen Jungen angemacht. Der war gerade mal alt genug, um da überhaupt rein zu dürfen. Ich habe gesehen, was für Angst er vor denen hatte, und als er mich dann auf einmal ansah...“ Tristan brach ab.
„Red weiter“, forderte Nick leise, aber eindringlich.
„Connors Augen.“ Tristan seufzte an seiner Schulter und schlang die Arme um ihn. „Er hatte Connors Augen... und da hat irgendetwas in mir 'klick' gemacht. Ich bin ausgerastet. Das nächste, was ich wieder richtig weiß ist, dass der Junge mich von einem der Typen runtergezerrt und dabei die ganze Zeit auf mich eingeredet hat.“
Nick bekam eine Gänsehaut. Wollte Tristan ihm hier gerade sagen, dass er...
„Ich glaube, ich hätte den Kerl umgebracht, wenn der Junge mich nicht von ihm weggezogen hätte“, gab Tristan im nächsten Moment zu, was er zuvor gedacht hatte.
Nick schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Großer Gott. Entsetzen drückte nicht im Mindesten aus, was er gerade fühlte. Es gab kein Wort für das, was ihm jetzt vor lauter Angst das Herz zusammendrückte. Er löste sich vorsichtig von Tristan, blieb aber vor ihm hocken und sah ihn eindringlich an.
„Du musst sofort damit aufhören.“ Tristan wusste genau, was er meinte, und schüttelte den Kopf. „Du kannst Connor nicht helfen, das weißt du. Er braucht viel mehr, als seinen großen Bruder, um damit fertig zu werden. Du bist Schauspieler, kein Psychologe.“
„Nick...“
„Nein“, unterbrach er Tristan ernst und hielt dessen Blick fest. „Was ist, wenn das nochmal passiert und der nächste Junge nicht diese Courage hat? Willst du wegen Mordes im Gefängnis landen?“ Tristans Blick flackerte kurz voller Panik auf, dann schüttelte er erneut den Kopf, aber das war ihm nicht genug. „Gib mir dein Wort, dass du ab sofort damit aufhörst, Connors seelischer Mülleimer zu sein. Versprich es mir, Tristan!“
„Ich verspreche es.“
„Du hast es nie jemandem erzählt“, meinte Tristan einige Zeit später, während sie eng nebeneinander am Flussufer saßen und den Teller leer aßen, den Connor ihm zuvor in die Hand gedrückt hatte. „Dabei hätte diese Sache deine Karriere ruinieren können.“
Wieso fing Tristan ausgerechnet jetzt davon an? „Tris, wie lange kennen wir uns mittlerweile? Du weißt sehr gut, wie viele Jahre man wegen Verschleierung eines Verbrechens im Knast landen kann. Genauso wie du weißt, dass
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