Blind ist der, der nicht lieben will
er Tristan schlagen, oder ihn erstmal ordentlich durchschütteln sollte. „Großer Gott, Tris, das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe. Wie kannst du mit deinem sonst so klugen Kopf nur dermaßen bescheuert denken? Aus Rücksicht gegenüber deiner Familie und mir läufst du lieber in dein eigenes Unglück? Und das wissentlich? Ich könnte dich gerade erwürgen, ganz ehrlich.“
„Ich weiß... tut mir leid...“
„Ach halt doch die Klappe“, murrte Nick finster und seufzte, als Tristan heftig zusammenzuckte. „Du bist ein Idiot.“
Tristan sagte nichts mehr und Nick starrte die nächsten Minuten völlig fassungslos an die Zeltdecke. Jedes von Tristans Worten war ein Schlag ins Gesicht für ihn. War er wirklich so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er die stummen Hilferufe seines besten Freundes über diese lange Zeit hinweg nicht gehört hatte? Wieso hatte er nicht früher etwas bemerkt? Es musste Anzeichen gegeben haben, die gab es immer. Warum war ihm nie etwas aufgefallen? Nick schluckte den dicken Kloß hinunter, der in seiner Kehle aufstieg und sah Tristan danach todernst an.
„Du wirst damit aufhören! Du wirst einen Entzug machen, dich bei den anonymen Alkoholikern anmelden und eine Therapie wegen Connor anfangen. Ich gehe mit zu den Treffen, wenn du das möchtest. Aber du wirst damit aufhören, kapiert?“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, gestand Tristan leise ein und wich seinem Blick verlegen aus. „Tut mir leid.“
„Nein“, wehrte Nick kopfschüttelnd ab und stützte sich seitlich auf einen Ellbogen, um auf Tristan hinunter zu sehen. „Lieber so, als wenn du mich anlügst.“ Er fuhr sich durch die Haare, dann fiel ihm etwas ein. Ein Gedanke, der im ersten Moment erschreckend war, aber er passte perfekt zu dieser Situation. „Du hattest Angst, ich lasse dich sitzen, stimmt's? Meine Arbeit, die Kanzlei und unsere ständigen Streits deswegen. Unglücklich verliebt bist du außerdem, von meiner Vergangenheit ganz zu schweigen. Du hast gedacht, dass du damit allein dastehst.“ Tristan sah ihn wieder an und nickte stumm. „Verdammt“, fluchte er, um gleich darauf erneut zu seufzen. „Ich helfe dir. Wir kriegen das hin, hörst du?“
„Und was ist mit deiner Kanzlei?“
Nick brauchte nicht lange zu überlegen. Adrian würde ihm zwar an die Kehle gehen, sobald er herausfand, was er am kommenden Montag zu tun gedachte, aber Tristan war jeden Ärger wert und deswegen würde er gleich am Montagmorgen Linda anrufen, um ihr aufzutragen, seine Fälle an andere Kanzleien abzugeben, bevor er sie und auch sich selbst erstmal in Urlaub schicken würde. Tristans Gesundheit war jetzt wichtiger, als seine Kanzlei.
„Ich regle das schon“, meinte er und warf Tristan einen strengen Blick zu. „Überleg du dir lieber, was du zu deiner Familie sagen willst, denn ich werde den Teufel tun und das vor ihnen geheim halten. Sobald Con und Dan wachwerden, ist dieser Campingausflug beendet.“
„Aber...“
„Wo hast du den Alkohol versteckt, den du hierher mitgenommen hast?“ Tristan blieb der Mund offenstehen, was ihn wissend lächeln ließ. „Hast du vergessen, dass ich mit einem Säufer aufgewachsen bin? Ich kenne alle Tricks, Tris. Also? Wo ist er?“
Tristan schluckte und wurde blass. „Wie willst du Con und Dan überhaupt erklären, warum wir heute schon zurückfahren?“
Nick hätte beinahe gelacht. Diese Taktik war genauso alt wie die Menschheit selbst. „Lenk bloß nicht vom Thema ab. Dass du es ihnen nicht hier draußen sagen willst, ist mir klar. Ich erwarte auch gar nicht, dass du nachher sofort die Karten auf den Tisch legst. Meinetwegen täusch eine Magenverstimmung vor, das ist mir für die nächsten Stunden herzlich egal. Aber sagen wirst du es ihnen, und zwar noch dieses Wochenende. Und jetzt rück den Stoff raus, Tris, bevor ich ernsthaft sauer auf dich werde.“
- 6. Kapitel -
Versammlungen fanden bei den Bennetts allgemein in der großen Küche statt. Gelegentlich auch im Garten oder im Wohnzimmer, aber meistens traf man in der Küche zusammen und sah Rachel beim Kochen zu, die noch immer und mit stetig wachsender Begeisterung Kräuter auf der Fensterbank züchtete. Momentan standen dort eine Vielzahl kleiner und bunt angemalter Töpfe, die einen weitaus angenehmeren Geruch verbreiteten, als das Desinfektionsmittel, das Will gerade benutzte, um seinen Handrücken zu behandeln, was Nick hörbar die Luft einziehen ließ, weil das Zeug heftig
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