Blind ist der, der nicht lieben will
der freien Hand die verbliebene Feuchtigkeit von den Wangen.
„Gern geschehen.“ Rachel lächelte und setzte sich neben ihn. „Er wird es dir nicht leicht machen, ich kenne meinen Sohn. Aber er liebt dich und wenn du ehrlich bist, wird er dir verzeihen.“
„Sie meint, dass du auf den Knien rutschen musst, Junge“, warf Will ein und brachte Nick damit unwillkürlich zum grinsen.
„Ich weiß.“ Er trank einen Schluck Tee, der ihn sofort von innen aufzuwärmen schien. „Wo ist er?“
Will zuckte lässig die breiten Schultern und zwinkerte ihm dann bedeutsam zu. „Wo er immer ist, wenn er Probleme wälzt. Bei seinem Bruder.“
Nick schluckte. „Das heißt, ich muss zuerst an Connor vorbei, um mit ihm reden zu können.“ Rachel seufzte, worauf er zu ihr sah.
„Um Connor würde ich mir dabei weniger Sorgen machen“, erklärte Tristans Mutter daraufhin amüsiert und lehnte sich in die weichen Polster der Couch. „Du erinnerst dich noch an Daniel, oder? Den jungen Mann, der von zwei Menschen, die er zu lieben glaubte, fast getötet wurde?“
Nick verzog ertappt das Gesicht, als er verstand, worauf Rachel anspielte. „Mist.“
Will begann zu lachen. „Junge, solltest du es schaffen lebendig an unserem Daniel vorbeizukommen, kannst du dir immer noch einen Plan überlegen, wie du Connor besänftigst. Aber das kann warten. Du siehst aus, als könntest du etwas zu essen vertragen.“ Will sah ihn streng an, weil er natürlich sofort widersprechen wollte. „Auf die eine oder zwei Stunden kommt es jetzt nicht mehr an. Keine Widerrede.“
Aus den ein oder zwei Stunden wurden fünf, bis Nick sich am Ende traute, den Weg zu Daniel und Connors Haus einzuschlagen, um mit Tristan zu reden. Mittlerweile war es dunkel draußen und wie im letzten Jahr stand vor einigen Häusern schon jetzt vereinzelt die Halloweendekoration. Noch eine Woche, dann wurde in Cumberland die diesjährige Geister- und Gruselsaison eröffnet, und kurze Zeit später war auch schon wieder Weihnachten. Nick betete innerlich, dass er dieses Weihnachten hier verbringen durfte – mit Tristan.
„Hallo Anwalt.“
Nick fuhr herum und wurde umgehend nervös, als er Daniel auf dem Gehweg hinter sich entdeckte, eine Papiertüte voller Einkäufe in den Händen. Er räusperte sich betreten. „Hallo.“
„Ich glaube, du bist in der falschen Stadt.“
Daniels Stimme war trügerisch sanft und Nick sofort auf der Hut. „Nein, bin ich nicht.“
„Doch, bist du“, hielt Daniel dagegen und trat an ihm vorbei zum Haus, um aufzuschließen. „Verpiss' dich, bevor ich mich vergesse.“
Das war deutlich. Einen warmen Empfang hatte Nick zwar nicht erwartet, aber mit Daniels eiskalter Abweisung konnte er deswegen noch lange nicht leichter umgehen. Nick wartete ab, bis sich sein Herzschlag soweit normalisiert hatte, dass er sich eine weitere Konfrontation mit Daniel zutraute, dann klopfte er. Daniel hatte offenbar direkt hinter der Haustür gewartet, so schnell wie diese aufgerissen wurde.
„Ich würde dich am liebsten schlagen“, zischte Daniel ihn an und seine Augen zeigten unverhohlene Wut. „Ich hasse Gewalt, aber hier und heute möchte ich so gerne eine Ausnahme machen, dass mir Angst und Bange wird. Wie kannst du es wagen, hier aufzutauchen, nach allem, was du Tristan angetan hast?“
„Ich muss ihn sprechen, Dan.“
„Nenn' mich nicht Dan, du mieses Arschloch.“
Das war ebenfalls sehr deutlich. Nick zog unwillkürlich den Kopf ein, wich aber keinen Schritt zurück. Sogar als Daniel im nächsten Moment mit geballten Fäusten auf ihn zutrat, blieb er stehen, auch wenn ihm vor lauter Angst der kalte Schweiß ausbrach.
„'Wenn ich mit jemandem eine Nacht verbringe, dann bekommt er alles von mir. Ich mag keine gefühllosen One-Night-Stands.' Sagt dir das noch etwas?“, fragte Daniel ätzend. „Das hast du damals zu mir gesagt und ich habe dir geglaubt. Ich habe dir vertraut, Nick. Wie kannst du es wagen und Tristan mit deinen Worten förmlich zu einer Hure degradieren? Hast du dabei auch nur eine Sekunde an Connor gedacht? An mich? Oder wenigstens an Tristan? Oder ging es nur um dich selbst? Um deine Feigheit?“ Daniel schnaubte und stieß ihm einen Finger gegen die Brust. Nick zog es vor, jetzt doch ein paar Schritte zurückzuweichen. „Du bist ein mieses Schwein und ein Lügner noch dazu.“ Dazu schwieg er, denn Daniel hatte recht. Jedes seiner Wort war wahr und Nick schämte sich in Grund und Boden dafür. „Tristan liebt dich.
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