Blind
geschlossen hatten, er teile ihre Leidenschaften, noch mehr – zugegebenermaßen faszinierenden – Lesestoff geschickt: einen obskuren Leitfaden der katholischen Kirche aus den Dreißigerjahren, in dem erklärt wurde, wie man exorzistischeRituale durchführte; die Übersetzung eines fünfhundert Jahre alten Buches mit perversen, gottlosen Psalmen eines verrückten Templers; ein Kochbuch für Kannibalen. In Wahrheit interessierte sich Jude einen Scheiß dafür, für ihn war das Teil der Kostümierung, wie das Tragen schwarzer Lederhosen auf der Bühne.
Jude stellte die Schachtel mit den Patronen zwischen seine Bücher ins Regal. Die Absicht, einen Capo aufzustöbern und ein paar alte Lynyrd-Skynyrd-Songs zu spielen, war vergessen. Er fuhr mit dem Daumennagel über die Buchrücken. Es war so kalt in seinem Studio, dass seine steifen und ungelenken Finger kaum die Seiten umblättern konnten. Außerdem wusste er nicht, wonach er suchte.
Eine Zeit lang plagte er sich mit einer wirren Abhandlung über Tiergeister herum, über Wesen mit intensiven Gefühlen, die durch Liebe und Blut an ihre Meister gefesselt waren und direkt mit den Toten kommunizieren konnten. Sie war ohne jede Zeichensetzung im schwerfälligen Englisch des 18. Jahrhunderts geschrieben. Jude arbeitet sich zehn Minuten lang an einem einzigen Absatz ab und hatte dann immer noch nicht verstanden, was er gelesen hatte. Er stellte das Buch wieder weg.
In einem anderen Buch blieb er an einem Kapitel hängen, in dem es um Besessenheit durch Dämonen oder abscheuliche Geister ging. Eine groteske Illustration zeigte einen alten Mann auf einem Bett, ausgestreckt zwischen zerwühlten Laken, mit vor Entsetzen vorquellenden Augen und aufgerissenem Mund, zwischen dessen Lippen ein lüstern grinsender, nackter Homunculus hervorkroch – oder, ein noch schlimmerer Gedanke: der in den Mund hineinkroch.
Jeder, las Jude, der die goldene Tür zur Sterblichkeit einen Spalt weit öffne, um einen Blick auf die andere Seite zu werfen, setze sich der Gefahr aus, dass etwas von ihm nach drüben gelange, und dass Kranke, Alteund Todessehnsüchtige besonders gefährdet seien. Der bestimmte und kluge Ton erschien Jude vielversprechend, bis er las, wie man sich am besten davor schützte: indem man sich mit Urin wusch. Jude war ein unvoreingenommener Mensch, wenn es um Entartungen ging, bei Wasserspielchen war jedoch Schluss, und als ihm das Buch aus den kalten Händen glitt und auf den Boden fiel, machte er sich nicht mal die Mühe, es wieder aufzuheben. Stattdessen kickte er es weg.
Er las über die Pfarrei von Borley, über die Kontaktaufnahme mit gleichgesinnten Geistern mittels Ouija-Brett, über die alchemistischen Verwendungsmöglichkeiten des ersten Menstruationsblutes. Die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen, und plötzlich warf er mit Büchern um sich, schleuderte sie quer durchs Studio. Alles Scheiße, jedes Wort. Dämonen und Geister, magische Kreise und die okkulten Vorteile von Pisse. Ein Buch fegte krachend eine Lampe von seinem Schreibtisch. Ein anderes prallte gegen eines seiner gerahmten Platinalben. Ein Spinngewebe aus glitzernden Bruchlinien fraß sich durch das Glas über der silbrigen Scheibe. Der Rahmen rutschte die Wand hinunter, schlug auf dem Boden auf, kippte nach vorn und landete knirschend auf der Vorderseite. Die Pralinenschachtel geriet Jude zwischen die Finger, und im nächsten Augenblick klatschte sie an die Wand, und die Patronen klackerten über den Boden.
Er packte wieder ein Buch, keuchend, außer sich, auf Zerstörung aus, egal, was dabei zu Bruch ging, hielt aber plötzlich inne, stutzig, weil mit dem, was er da in der Hand hielt, irgendetwas nicht stimmte. Er schaute nach unten und sah, dass er eine schwarze Videokassette ohne Etikett in der Hand hielt. Erst wusste er nicht, was das für ein Band war, dann dämmerte es ihm langsam. Es war der Snuff-Film. Er hatte, weit weg von seinen anderen Videos, auf dem Regal zwischen denanderen Büchern gesteckt. Wie lange, vier Jahre? Jedenfalls so lange, dass ihm die Kassette zwischen all den Buchrücken schon gar nicht mehr aufgefallen war. Es war zu einem Teil des allgemeinen Durcheinanders auf dem Regal geworden.
Eines Morgens war Jude ins Studio gekommen und hatte seine Frau Shannon dabei überrascht, wie sie sich den Film anschaute. Er packte gerade ein paar Sachen für eine Reise nach New York zusammen und war ins Studio gegangen, um eine Gitarre zu holen, die er mitnehmen wollte. Er
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