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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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die einen Sinn ergaben. Er hatte seiner Frau ein Farmhaus gekauft, für sie beide hatte er es gekauft. Er kaufte Shannon einen Mercedes und dann noch einen, eine große Limousine und ein Cabrio. Manchmal unternahmen sie Wochenendausflüge nach Cannes, im Privatjet, wo sie Jumbo-Shrimps und Hummerschwänze auf Eis serviert bekamen. Dann starb Dizzy auf so üble und schmerzvolle Weise, wie ein Mensch nur sterben konnte, und Jerome brachte sich um, und Shannon kam immer noch in sein Studio und sagte Dinge wie »Ich mach mir Sorgen um dich, lass uns nach Hawaii fliegen« oder »Ich hab dir eine Lederjacke gekauft, schlüpf mal eben rein«, und er fing an, auf seiner Gitarre zu klimpern. Er hasste ihre quietschvergnügte Stimme und spielte einfachdrüber weg, er hasste den Gedanken, noch mehr Geld auszugeben und noch eine Jacke zu kaufen und noch eine Reise zu unternehmen. Aber hauptsächlich hasste er einfach ihr zufriedenes, pappsattes Gesicht, die fetten Finger mit den vielen Ringen, den kühlen, besorgten Blick.
    Ganz am Ende hatte sich Dizzy eingebildet – da war er schon blind und im Fieberwahn gewesen und hatte sich fast stündlich selbst besudelt –, dass Jude sein Vater sei. Dizzy weinte und sagte, er habe nicht schwul sein wollen. Er sagte: »Hass mich nicht mehr, Papa, bitte, hass mich nicht.« Und Jude sagte: »Ich hasse dich nicht. Ich hab dich nie gehasst.« Und dann war Dizzy gestorben, und Shannon machte sofort weiter wie zuvor, bestellte Jude neue Klamotten und zerbrach sich den Kopf darüber, wohin sie zum Mittagessen gehen könnten.
    »Warum habt ihr eigentlich keine Kinder gehabt?«, fragte Georgia.
    »Ich hatte Angst, dass zu viel von meinem Vater in mir steckt.«
    »Ich bezweifele, dass du irgendwas von deinem Vater hast«, sagte sie.
    Mit der vollen Gabel in der Hand hielt er inne und dachte darüber nach. »Doch. Er und ich haben so ziemlich die gleichen Anlagen.«
    »Was mir Angst macht, ist der Gedanke, dass ich Kinder habe und die dann die Wahrheit über mich rausfinden«, sagte Georgia. »Kinder kriegen das immer raus. Ich hab's bei meinen Eltern auch rausgefunden.«
    »Was würden deine Kleinen bei dir rausfinden?«
    »Dass ich die Highschool geschmissen habe. Dass mich ein Kerl, als ich dreizehn war, zur Hure gemacht hat. Ich hatte nur einen Job, in dem ich gut war: mich zur Musik von Mötley Crue vor einer Bande Besoffener auszuziehen. Ich hab versucht mich umzubringen. Manhat mich drei Mal verhaftet. Ich hab meiner Oma Geld gestohlen und sie zum Weinen gebracht. Ich hab mir zwei Jahre lang nicht die Zähne geputzt. Hab ich irgendwas vergessen?«
    »Dein Kind weiß also Folgendes: Egal, was mir zustößt, ich kann mit meiner Mutter darüber reden, weil sie das alles nämlich schon selbst durchgemacht hat. Egal, was für eine Scheiße mir zustößt, ich kann's überstehen, weil meine Mama schon Schlimmeres am Hals gehabt und es trotzdem geschafft hat.«
    Georgia hob den Kopf und lächelte wieder. Ihre Augen leuchten hell vor Freude und Übermut – es waren die Art von Augen, über die Jude erst vor ein paar Minuten geredet hatte.
    »Weißt du was, Jude?«, sagte sie und griff mit den Fingern der verbundenen Hand nach ihrer Kaffeetasse. Die Kellnerin, die hinter ihr stand, beugte sich gerade mit der Kaffeekanne vor, um Georgia nachzuschenken, schaute dabei aber für einen Moment auf ihren Quittungsblock anstatt auf das, was sie tat. Jude sah, was passieren würde, konnte Georgia aber nicht mehr rechtzeitig warnen. »Manchmal bist du ein derart anständiger Kerl, dass ich fast vergessen könnte, was für ein Arsch…«
    Genau in diesem Augenblick bewegte Georgia die Tasse, und die Kellnerin goss den Kaffee über die bandagierte Hand. Georgia schrie auf, riss die Hand zurück und drückte sie an die Brust. Sie verzog das Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse, und ihre Augen nahmen einen glasig stumpfen Glanz an, sodass Jude glaubte, sie würde gleich ohnmächtig werden.
    Im nächsten Moment war sie aufgesprungen und umklammerte mit der gesunden Hand den verbundenen Daumen. »Hast du keinen Augen im Kopf, du blöde Kuh!«, brüllte sie die Kellnerin an. Ihr Hillbilly-Akzent schlug wieder voll durch.
    »Georgia«, sagte Jude und stand auf.
    Georgia stieß die Kellnerin grob mit der Schulter zur Seite und stapfte in Richtung Toilette.
    Jude setzte sich wieder und schob seinen Teller weg. »Schätze, es ist besser, wenn Sie die Rechnung fertig machen.«
    »Tut mir leid«, sagte die

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