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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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wenn man gerettet werden sollte, würde man nie mehr der Mensch sein, der man einmal war.
    Sie setzte einen Fuß auf die Treppe und stieg zur Tür hinauf. Blonde Haarsträhnen klebten an ihren Wangen. Ihre Mutter war nah, das spürte sie. Carol Bishop hätte niemals aufgehört, nach ihrer Tochter zu suchen. Nie hätte sie von den Behörden der Dominikanischen Republik ein Nein als Antwort akzeptiert. Wahrscheinlich waren sie schon in Haiti und nur noch wenige Stunden davon entfernt, sie zu finden. Vielleicht hatte das die Männer hier bewogen, sie von dem Schloss wegzubringen.
    Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es war alles umsonst. Sie würde ihren Eltern nie wieder so nahe sein, und sie würde nie wieder an jenen Tag anknüpfen können, den letzten ihres Lebens: der Tag, an dem das Kreuzfahrtschiff Constellation ohne sie aus dem Hafen von Santo Domingo ausgelaufen war.
    Sie erreichte die Tür der Maschine und spürte, wie die Treppe unter ihren Füßen zitterte. Philippe rief hinter ihr irgendwelche Worte, die sie nicht verstand.
    Der Pilot ließ den zweiten Motor an.
    Im Flugzeug stank es nach toten Tieren und verschimmeltem Teppich. Die Sitze hatte man entfernt, doch ihre Umrisse waren noch an den schmutzigen Metallwänden zu sehen. Etwa in Kopfhöhe, wo man normalerweise das Gepäck verstaut hätte, befanden sich offene Eimer mit Obstschalen, Mangokernen und rostigem Werkzeug.
    Sie musste sich auf den nackten Metallboden setzen. Das Flugzeug rumpelte los, schwenkte nach rechts und wendete auf der Rollbahn. Das Heulen der Motoren war ohrenbetäubend in der drückend heißen Kabine; der Pilot und der Wächter riefen einander etwas zu, dann wurde die Tür zugezogen.
    Jill sah auf ihre Hände hinunter. Philippe setzte sich ihr gegenüber, das Maschinengewehr auf dem Schoß. Er starrte sie lüstern an. Sie war noch nie mit einem der Wächter allein gewesen.
    Das Flugzeug rollte geradeaus, und die Räder holperten über die Startbahn. Die Motoren brachten den ganzen Rumpf zum Vibrieren. Sie wurden immer schneller, und Jill spürte, wie es unter den Flügeln leichter wurde. Wenige Augenblicke später waren sie in der Luft, und die Maschine ging in die Querlage, sodass sie nach vorne gedrückt wurde, etwas näher zu Philippe hin.
    Jill reckte den Hals, um durch das Cockpit sehen zu können, und erhaschte einen kurzen Blick auf grüne Hügel, dann war ringsum nur noch blauer Himmel.
    Sie ließ den Kopf zwischen die Knie sinken. Ihr Blick fiel auf in den Boden geritzte Initialen: JMS. Dahinter stand ein Fragezeichen und die Jahreszahl 2002.
    Wer war JMS, und wo war sie gerade? Ob sie noch lebte, ob sie schon lange tot war? Und falls sie lebte – was hatte sie dann alles mitmachen müssen?
    Jill war vor der Kreuzfahrt in die Dominikanische Republik keine Jungfrau mehr gewesen, aber sie war auch nicht wirklich erfahren. Sie hatte es einmal an einem Sonntagnachmittag mit einem Jungen auf einer Couch im Haus ihrer Eltern gemacht. Sie konnte sich noch an jede Kleinigkeit erinnern. Sie waren vom Kino zurückgekommen und hatten eine Nachricht von ihren Eltern vorgefunden, dass sie bei Freunden wären. Neben das Telefon hatten sie Geld für eine Pizza gelegt. Sie schalteten den Fernseher ein – es lief ein Horrorfilm –, doch er begann gleich, sie zu küssen, und seine Hände wanderten unter ihre Bluse.
    Sie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus -fasziniert vom Spiel seiner Finger, die sich an den Knöpfen ihrer Bluse zu schaffen machten. Erst als er den BH erreichte, brachte sie einen Laut hervor. Doch es war kein Nein, und sie stöhnte, als er sie küsste.
    Das alles erschien ihr jetzt so lächerlich, genauso wie die Träume, die sie hatte, einfach nur lächerlich. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie nach dem College in irgendein Dritte-Welt-Land gehen würde, um eine Zeit lang dort zu arbeiten. Sie und der imaginäre Freund, der sie in irgendein armes Dorf begleiten würde, wo sie in einem improvisierten Krankenhaus arbeiten und sich nachts in ihrem Zelt lieben würden. Sie würden nach Amerika zurückkehren, heiraten und sich ein Haus in der Nähe ihrer Eltern in Oak Park kaufen, wo sie über ihre Erfahrungen ein Buch schreiben und es veröffentlichen würden. In ihrem Haus hätte sie sich ein Büro eingerichtet, um von hier aus ihre Entwicklungshilfearbeit zu organisieren. Sie würden Kerzen im Schlafzimmer haben, und die Kissen würden nach dem Rasierwasser ihres Mannes duften.
    Eines Nachts in dem

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