Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Titel: Blinde Flecken: Schwarz ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Probst
Vom Netzwerk:
fragen, was Sie hierher führt?«
    Schwarz hatte es versäumt, sich eine Legende für den Abend zurechtzulegen. Er musste improvisieren. »Meine Mutter ist Egerländerin.«
    Volltreffer. Fritz strahlte. »Von der Gmoi. Da schau her! Woher genau?«
    »Aus Karlsbad.«
    »Karlsbad, wunderschön. Und der Herr Vater?«
    »Den habe ich leider nie kennen gelernt.«
    »Ich nehme an, er ist gefallen?«
    »Nein, so alt bin ich noch nicht.«
    »Richtig.« Sein Räuspern löste einen Hustenanfall aus. Er suchte hektisch in der Innentasche des Jacketts nach einem Spray, nahm einen tiefen Hub, beruhigte sich aber nur allmählich.
    Schwarz nutzte die Gesprächspause, um sich umzusehen. Der Saal war komplett mit Holz getäfelt, so dass man das Gefühl bekam, in eine große Zigarrenkiste gesperrt zu sein. Das Publikum unterhielt sich angeregt in gedämpfter Lautstärke.
    Rechts des Podiums hing die Burschenschaftsfahne, die ein Symbol aus drei kunstvoll ineinander verschlungenen Buchstaben samt Ausrufezeichen schmückte.
    »Sehr geehrte Gäste, hochverehrte Alte Herren, liebe Aktivitas. Ich darf Sie herzlich zu unserem heutigen Vortrag begrüßen.«
    Der Redner war etwa vierzig Jahre alt und sah mit seinen stahlblauen Augen, dem dunkelblonden, leicht gewelltenHaar und den makellos weißen Zähnen wie ein Dressman aus.
    »Hervorragender Mann«, murmelte Fritz.
    Schwarz wollte sich nach dem Namen erkundigen, aber sein Nachbar brachte ihn mit einer resoluten Geste zum Schweigen. Der Referent wurde auf die Bühne gebeten.
    »Und so freue ich mich sehr, Ihnen heute unseren Bundesbruder, Dr.   Thorn aus Mainz, vorstellen zu dürfen.«
    Der Referent wirkte eher wie ein verhuschter Gymnasiallehrer, seine dicke Brille vergrößerte die Augen, der graue Schnauzer überwucherte die Oberlippe.
    »Wir werden noch unsere Freude an ihm haben. Schon sehr bald«, sagte Fritz.
    »An Dr.   Thorn?«
    »Quatsch. An von Medingen natürlich.«
    Schwarz starrte ungläubig zu dem Gastgeber auf der Bühne. War er der Gefängnispsychologe   …?
    Es gibt interessante Verbindungen zwischen der
Manzonia
und der
Braunen Hilfe, hatte Heiner gesagt. Schwarz versuchte, sich zu beruhigen. Es konnte sich ja auch um eine zufällige Namensgleichheit handeln.
    Hinter dem Referenten war nun eine große Europakarte an die Wand projiziert.
    »Meine Damen und Herren, ich darf mit der guten Nachricht beginnen: Das Deutsche Reich besteht bis heute fort. Unsere Verfassung wurde nämlich niemals aufgehoben. Die schlechte Nachricht ist, dass fremde Mächte mehr als sechzig Jahre nach dem verlorenen Krieg und der ethnischen Säuberung großer deutscher Gebiete das Reich noch immer besetzt halten«, sagte Dr.   Thorn. »Zu den Besatzern gehören nicht nur Russland, Polen, Litauen und die Tschechei, sondern – ich muss es leider aussprechen – auch die sogenannte Bundesrepublik Deutschland.«
    Thorn lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Landkarte und markierte mit einem roten Folienstift den Verlauf der deutschen Ostgrenze am 31.   12.   1937. »Das hier steht uns zu, das ist völkerrechtlich unstrittig«, erklärte er nonchalant, »und die sogenannte Bundesrepublik war und ist nicht befugt, auf deutsches Territorium zu verzichten. Wir, die wir uns nach wie vor als Reichsbürger betrachten, haben sie dazu jedenfalls nicht legitimiert.«
    Das war der Moment, in dem Schwarz sich innerlich verabschiedete. Er kontrollierte noch einmal unauffällig, ob Heiners Aufnahmegerät lief, dann gönnte er sich ein Nickerchen mit offenen Augen.
    Als er fast dreißig Minuten später aufwachte, hielt der Referent statt des roten einen schwarzen Stift in der Hand.
    »Meine Damen und Herrn, vergessen wir also die Grenzen des Jahres 1937.   Sie wurden uns im Versailler Schandfrieden diktiert. Erst mit dem Anschluss Österreichs und der Wiedereingliederung des Sudetenlandes machte das deutsche Volk endlich von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch.«
    Er zog beherzt eine schwarze Linie. »Das hier ist die wahre Grenze unseres Deutschen Reichs, und wer sie preisgibt – ich muss es leider so deutlich sagen   –, ist ein Landesverräter. Ostpreußen mit der Deutschordensstadt Königsberg, Pommern und die Freie Stadt Danzig, Oberschlesien, Niederschlesien, das Sudetenland und Österreich waren und sind deutsches Stammland. Die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerung deutscher Zunge und Kultur, die viele dieser Gebiete erst zivilisiert und zur Blüte gebracht hat, werden wir niemals

Weitere Kostenlose Bücher