Blinde Goettin
nach dem Brand kleine schwarze Rußflocken ausgespuckt. Er fuhr zusammen, wenn irgendwer ein Streichholz anzündete.
Dennoch war er einigermaßen zufrieden. Fast froh. Möglicherweise hatten sie den Fall nicht gelöst. Aber sie hatten eine Art Schlußstrich darunter gezogen. Jørgen Lavik war tot, Hans A. Olsen war tot, Han van der Kerch war tot, und Jacob Frøstrup war tot. Ganz zu schweigen von dem armen, belanglosen Ludvig Sandersen, dem die zweifelhafte Ehre zugefallen war, den Ball zu eröffnen. Die Mörder von Sandersen und Lavik waren der Polizei bekannt, van der Kerch und Frøstrup hatten ihre Richtung selbst gewählt. Nur Olsens unsanfte Begegnung mit einer Bleikugel war nach wie vor ein Mysterium. Der offiziellen Lesart zufolge steckte Lavik dahinter.
Darauf hatten Kaldbakken, die Polizeipräsidentin und der Staatsanwalt bestanden. Ein toter, bekannter Mörder war besser als ein unbekannter auf freiem Fuß. Håkon mußte zugeben, daß die Theorie über den dritten Mann mittlerweile jeder Grundlage entbehrte. Peter Strups seltsames Verhalten hatte zu dieser Theorie geführt, und nun war der Staranwalt nicht mehr im Spiel. Er hatte sich vorbildlich benommen. Ohne zu mucksen, hatte er sich mit zwei Tagen Untersuchungshaft abgefunden, dann hatten die Anklagebehörden die Ermittlungen in dem Mord an Jørgen Lavik abgeschlossen, ohne auf eine strafbare Handlung gestoßen zu sein. Reine Notwehr. Selbst der Oberstaatsanwalt, der aus prinzipiellen Gründen alle Mordfälle vor den Kadi bringen wollte, war mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden gewesen. Strup hatte einen Waffenschein, er war Mitglied in einem Pistolenschützenverein.
Es gab keinen dritten Mann, hatten daraufhin fast alle behauptet und erleichtert aufgeatmet. Håkon wußte nicht, was er glauben sollte. Am liebsten hätte er sich an die logischen Schlußfolgerungen seiner Vorgesetzten gehalten. Aber Hanne Wilhelmsen protestierte. Sie war immer noch der Ansicht, daß der dritte Mann sie an jenem fatalen Sonntag niedergeschlagen hatte. Lavik konnte es nicht gewesen sein. Die Vorgesetzten waren anderer Ansicht. Entweder war es doch Lavik gewesen oder ein Laufbursche, der im System weiter unten stand. Sie wollten sich durch eine solche Bagatelle jedenfalls nicht die schöne Lösung verderben lassen, die jetzt auf dem Tisch lag. Sie kauften diese Lösung gern, allesamt. Bis auf Hanne Wilhelmsen.
Volltreffer. Der dritte in Folge. Leider war es noch so früh, daß nur eine der anderen Bahnen besetzt war. Dort spielten vier lärmende Knaben im Flegelalter, die den beiden älteren Männern keinen Blick mehr geschenkt hatten, nachdem sie sie bei ihrem Eintreffen kichernd gemustert hatten. Deshalb fand seine Glanzleistung keinen anderen Zuschauer als seinen Mitspieler. Und der ließ sich nicht beeindrucken.
Der Computerschirm über ihnen – er war mit einer Stangenkonstruktion an der Decke befestigt – zeigte, daß beide eine glückliche Serie hinter sich hatten. Alles was über hundertfünfzig Punkten lag, war gut. Bei ihrem Alter.
»Noch eine Runde?« fragte Peter Strup.
Christian Bloch-Hansen zögerte kurz. Dann zuckte er mit den Schultern und lächelte. Eine noch. »Aber erst brauchen wir ein Mineralwasser.«
Sie setzten sich, jeder nahm seine schwere Kugel auf den Schoß, und sie teilten sich ein Wasser. Peter Strup strich immer wieder über die weiße Oberfläche der Bowlingkugel. Er wirkte älter und schmaler als bei ihrer letzten Begegnung. Seine Finger waren dünn und trocken, die Haut über den Knöcheln rissig.
»Hast du recht gehabt, Peter?«
»Ja, leider.« Seine Hand hielt inne; er legte die Kugel auf den Boden und stützte die Unterarme auf die Knie. »Ich habe so an diesen Jungen geglaubt«, sagte er mit einem traurigen Lächeln. Wie ein Clown, der nicht rechtzeitig aufgehört hat und ein bißchen zu alt geworden ist.
Christian Bloch-Hansen meinte Tränen in den Augen seines Freundes zu sehen. Er klopfte ihm ungeschickt auf die Schulter und wandte verloren den Blick den zehn Kegeln zu, die stramm und korrekt ihres Schicksals harrten. Er hatte nichts zu sagen.
»Der Junge war nicht gerade ein Sohn für mich, aber eine Zeitlang hat er mir nahegestanden. Als er bei mir aufgehört hat, um sich selbständig zu machen, war ich enttäuscht … vielleicht auch verletzt. Aber wir sind in Kontakt geblieben. Wann immer es möglich war, haben wir donnerstags zusammen gegessen. Das war nett und anregend. Ich glaube, für uns beide.
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