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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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hatte einen pulverartigen Belag, und vereinzelte Fingerabdrücke zeichneten sich schwachlila ab.
    »Ich hab’ die Abdrücke schon untersuchen lassen. Da ist nichts zu holen«, kommentierte Billy T. Er packte die Papiere, verließ das Büro, war nach zwei Minuten wieder da und reichte ihr zwei noch warme Kopien. »Die Originale behalte ich. Wenn du sie brauchst, kriegst du sie.«
    »Vielen Dank, Billy T.«
    Die Dankbarkeit war echt, trotz des müden Lächelns.
     
    Als erstes wurde ihm mitgeteilt, daß er Zeuge sei, kein Verdächtiger. Für ihn machte das kaum einen Unterschied, die Anklage in seinem eigenen Fall war schlimm genug. Danach wurde ihm eine Cola serviert, die er sich gewünscht hatte. Vorher hatte er duschen dürfen. Hanne Wilhelmsen war freundlich, entgegenkommend, und sie konnte ihm zwischen den Zeilen klarmachen, daß es für einen Angeklagten von Vorteil war, wenn er in einem anderen Fall als guter Zeuge fungierte. Das schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Sein Geplauder drehte sich um Belanglosigkeiten. Es war nett, der öden Zelle zu entkommen, er schien sich richtig wohl zu fühlen. Hanne Wilhelmsen ging es anders. Ihre Kopfschmerzen hatten sich verschlimmert, und ihre Wundnähte schrien auf, wenn sie eine Grimasse gegen die Schmerzen zog.
    »Ich kriege für die Sache ein paar Jahre, weißt du.« Er wirkte kesser, als Billy T. angedeutet hatte.
    »Ich muß das wohl wiederholen: Dein Fall interessiert mich nicht. Das ist deine Sache. Ich möchte mit dir über die beiden Dokumente reden, die bei dir gefunden worden sind.«
    »Dokumente? Das waren doch keine Dokumente. Das waren Zettel mit Zahlen. Dokumente haben Stempel und Unterschriften und so, oder?«
    Er hatte seine Cola schon getrunken und bat um eine zweite. Hanne Wilhelmsen drückte auf den Knopf der Sprechanlage und gab die Bestellung weiter.
    »Zimmerservice. Find’ ich scharf! Echt, in meiner Lage, Mensch!«
    »Diese Dokumente – oder Zettel«, Hanne machte noch einen Versuch, wurde aber unterbrochen.
    »Keine Ahnung. Echt nicht. Hab’ sie mal gefunden. Hab’ sie nur als eine Art Versicherung behalten. In meiner Branche kann man nie vorsichtig genug sein, echt.«
    »Versicherung wogegen?«
    »Bloß Versicherung. Gegen nix Besonderes. Hat dich wer verprügelt oder was?«
    »Nein, ich bin so geboren.«
    Nach drei Stunden Arbeit begriff Hanne allmählich, warum die Ärzte so auf ihrer Krankschreibung bestanden hatten. Cecilie hatte sie gewarnt, vor den Kopfschmerzen, der Übelkeit, hatte Schreckensbilder entworfen und gesagt, diese Symptome könnten chronisch werden, wenn sie sich keine Ruhe gönnte. Hanne Wilhelmsen fürchtete jetzt, ihre Liebste könnte recht haben. Sie rieb sich vorsichtig die Schläfe ohne Pflaster.
    »Kann nix sagen, echt.«
    Plötzlich kam er ihr zahmer vor. Seine schlaksige Gestalt bebte leicht, und er kleckerte, als er versuchte, aus der neuen Colaflasche zu trinken.
    »Entzug, weißt du. Muß sehen, daß ich ins Gefängnis rüberkomme. Da gibt’s Dope genug. Kannst du nicht dafür sorgen?« Hanne Wilhelmsen musterte den Mann. Klapperdürr, totenblaß. Sein spärlicher Bart konnte die vielen Pickel nicht verdecken, für einen Mann hoch in den Dreißigern hatte er ungewöhnlich schlechte Haut. Irgendwann hatte er sicher gut ausgesehen. Sie stellte ihn sich als Fünfjährigen vor, mit blonden Locken, im Matrosenanzug, feingemacht für den Besuch beim Fotografen. Vermutlich war er niedlich gewesen. Sie hatte die Juristen im Haus voller Verachtung über das Gefasel der Verteidiger klagen hören. Elende Kindheit, von der Gesellschaft im Stich gelassen, Väter, die sich zu Tode soffen, Mütter, die weniger tranken, die zumindest so weit am Leben blieben, daß sie vernünftige Fürsorgemaßnahmen verhindern konnten, bis das Kind mit dreizehn vollständig unlenkbar war, jenseits aller Hilfsangebote von Jugendamt und anderen wohlwollenden Seelen. Das konnte doch nicht gutgehen. Hanne Wilhelmsen wußte, daß diese Verteidiger recht hatten. In zehnjähriger Ohnmacht war ihr längst aufgegangen, daß niemand ohne Grund zum Taugenichts wurde. Sie alle hatten Schreckliches durchgemacht. Dieser Typ hier sicher auch.
    Wie ein Gedankenleser jammerte er mit dünner Stimme: »Ich hab’ Schreckliches durchgemacht, echt.«
    »Ja, das weiß ich«, antwortete sie vage. »Da kann ich dir jetzt auch nicht helfen. Echt. Ich kann versuchen, dich heute noch ins Gefängnis überführen zu lassen, wenn du mir sagst, woher du die Dokumente

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