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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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hast.« Das war offenbar eine geeignete Lockspeise. Sie sah, daß er an imaginären Knöpfen abzählte. Wenn er überhaupt zählen konnte.
    »Ich hab’ sie gefunden. Mehr kann ich nicht sagen. Ich glaub’, ich weiß, wem sie gehören. Das sind miese Burschen, echt. Die kriegen dich, egal wo. Nein, ich halte die Papiere noch immer für eine Versicherung. Ich bleibe im Hinterhof, ich stehe sowieso weit oben auf der Liste, bin doch schon seit fünf Tagen hier.«
    Hanne Wilhelmsen hatte keine Kraft mehr. Sie befahl ihm, den Rest Cola zu trinken. Er trank auf dem ganzen Weg in die Untersuchungszelle weiter. Bei seiner Zellentür gab er ihr die leere Flasche.
    »Ich hab’ von dir gehört, echt. Die Frau ist in Ordnung, das sagen alle. Danke für die Cola.«
     
    Der Mann wurde noch am selben Tag ins Gefängnis überführt. Hanne Wilhelmsen war nicht zu müde, um noch ein paar Fäden zu ziehen, ehe sie Feierabend machte. Sie konnte zwar keinen Platz im überfüllten Gefängnis aus dem Ärmel schütteln, aber sie konnte die Reihenfolge auf der Dringlichkeitsliste beeinflussen. Der Klapperdürre war glücklich, als er noch am selben Tag, gut untergebracht in einer Zelle mit Fenster, in der etwas stand, das mit einem Bett zumindest verwechselt werden konnte, von seinem Anwalt besucht wurde. Sie saßen allein in einem Zimmer, der Jurist im Anzug und der vom Entzug gequälte Mann. Von dem Zimmer führte eine Tür in einen großen Saal, in dem die glücklicheren unter den Häftlingen von Familie oder Freunden besucht wurden, einen öden, unfreundlichen Raum, der vergeblich versuchte, dadurch einen guten Eindruck zu machen, daß in einer Ecke eine Spielwiese für die Kleinsten eingerichtet war.
    Der Anwalt blätterte in Papieren. Sein Diplomatenkoffer lag auf dem Tisch. Er war offen, und der Deckel erhob sich zwischen den Männern wie ein Schild. Der Anwalt wirkte nervöser als der Häftling, was der in seinem Zustand aber nicht registrierte. Der Anwalt klappte den Koffer zu, zog ein Taschentuch hervor, faltete es auseinander und bot seinem Gegenüber den Inhalt an.
    Dort lag der Segen, alles, was der erschöpfte Mann zu einigen Stunden wohlverdienten Rausches benötigte. Er griff danach – vergebens. Der Anwalt zog blitzschnell die Hand zurück.
    »Was hast du gesagt?«
    »Hab’ nix gesagt! Du kennst mich doch! Sagt nur ja oder nein, dieser Knabe hier, echt!«
    »Gibt’s irgendwas auf deiner Bude, was der Polizei etwas verraten könnte? Überhaupt irgendwas?«
    »Nein, nein, nix. Nur den Stoff. Verdammtes Pech, echt, daß sie gekommen sind, als ich gerade ausliefern wollte. War echt nicht meine Schuld.«
    Wenn sein Gehirn nicht nach zwanzig Jahren Mißbrauch künstlicher Stimulanzien so tranig gewesen wäre, dann hätte er etwas anderes gesagt. Wenn der Rettungsanker im Koffer des Anwalts nicht den letzten Rest Urteilsvermögen, auf den er noch zurückgreifen konnte, geschwächt hätte, dann hätte er vielleicht behauptet, auf kompromittierendem Material zu sitzen, auf Papieren, die er nach einem Besuch in einem anderen Besuchszimmer, nach einer anderen Festnahme, auf dem Boden gefunden hatte. Im Vollbesitz seines Verstandes wäre ihm vermutlich klar gewesen, daß er offiziell in ihrem Besitz sein mußte, wenn die Dokumente ihre Rolle als Versicherungspapiere spielen sollten. Er hätte sich sogar eine Geschichte ausdenken können, etwa, daß irgendwer alles der Polizei erzählen würde, falls ihm etwas zustieße. Irgend etwas hätte er jedenfalls daraus machen können. Vielleicht hätte ihm das das Leben gerettet, vielleicht nicht. Aber er war zu tranig.
    »Halt weiterhin die Klappe«, sagte der Advokat, und der Häftling durfte sich vom Inhalt des Taschentuchs bedienen.
    Dort lag auch ein zigarrenförmiger Zylinder, und mit eifrigen und immer stärker zitternden Händen konnte der Rauschgiftsüchtige seinen Vorrat in das längliche Behältnis füllen. Hemmungslos ließ er seine Hose sinken und stopfte sich, eine Grimasse ziehend, das Ganze ins Rektum.
    »Die durchsuchen mich, ehe sie mich in die Zelle sperren, aber nach einem Besuch von meinem Anwalt lassen sie zumindest meinen Arsch in Ruhe«, grinste er zufrieden.
    Fünf Stunden später wurde der Mann in seiner Zelle tot aufgefunden. Die Überdosis hatte ihn mit einem seligen Lächeln auf den Lippen in den Tod geschickt. Die Hilfsmittel lagen auf dem Boden, winzige Heroinreste in einem Fetzen Plastikfolie. Im herbstnassen Gras zwei Stock unterhalb des Gitterfensters

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