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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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noch zweimal, ehe er weitersprach. »Wenn du wüßtest, wie öde das ist! Fünfundneunzig Prozent der Arbeit an einer Mordsache sind absolut unfruchtbar. Lauter Bagatellen müssen abgeklopft werden. Ich brauche das zum Glück nicht. Mich mit dem rein Praktischen zu befassen, meine ich. Aber ich muß ja alles lesen. Bisher haben wir zweiundzwanzig Zeugen verhört. Zweiundzwanzig! Nicht einer hat etwas beizusteuern! Die wenigen technischen Spuren sagen uns nichts. Die Kugel, die Hansa Olsen erledigt hat, kam aus einer Waffe, die hierzulande nicht einmal im Handel ist. Also kommen wir auch da nicht weiter. Wir glauben, irgendwo ein Muster zu sehen, aber wir finden den gemeinsamen Nenner nicht, das Teilchen, das uns den Zusammenhang liefert, mit dem wir weiterarbeiten können.« Mit stumpfem Zeigefinger versuchte er, Salz auf der Tischdecke zu verreiben, in der Hoffnung, daß das Hausmittel dann größere Wirkung zeigen würde. »Vielleicht irren wir uns ja total«, sagte er resigniert. »Wir dachten, wir hätten etwas gefunden, als die Protokolle ergaben, daß Lavik im Arrest war an dem Tag, als dein Mandant ausgerastet ist. Ich habe gebohrt und gefragt, aber die zuständigen Kollegen erinnerten sich an jedes Detail seines Besuches und beschwören, daß er nur mit seinem Mandanten gesprochen hat. Er durfte ja keinen Schritt allein machen, wie überhaupt kein Besucher.«
    Håkon Sand wollte nicht länger über den Fall sprechen. Es war Freitag, hinter ihm lag eine lange, anstrengende Woche, und der Wein stieg ihm langsam zu Kopf. Er fühlte sich leichter; Wärme breitete sich in ihm aus und verlangsamte seine Bewegungen. Er griff nach ihrem Teller, kratzte ihre Essensreste sorgfältig auf seinen, legte darauf beider Besteck und wollte aufstehen, um alles in die Küche zu bringen.
    Und da passierte es. Sie sprang auf, umrundete den gediegenen Kieferntisch, stieß mit der Hüfte gegen die abgerundete Kante; das mußte weh getan haben. Sie ließ sich nichts anmerken. Statt dessen setzte sie sich auf seinen Schoß. Er hockte stumm und hilflos da. Seine Hände hingen wie dumpfe Bleigewichte an seinen Armen, willenlos und schlaff; wo sollte er damit hin?
    Schrecken und Sehnsucht trieben ihm das Wasser in die Augen, und noch mehr ängstigte er sich, als sie ihm geschickt die Brille abnahm. In seiner Verwirrung zwinkerte er, und eine unfreiwillige Träne kullerte über seine linke Wange, klein und allein, aber sie bemerkte sie, legte ihre Hand an seine Wange und strich die Träne mit dem Daumen fort.
    Sie legte ihren Mund auf seinen und küßte ihn unendlich lange. Dies hier war etwas ganz anderes als das leichte Streifen in seinem Büro; es war ein Kuß voller Begehren und Sehnsucht. Es war der Kuß, von dem Håkon Sand phantasiert hatte, nach dem er sich gesehnt und den er sich schon längst wie einen süßen Traum aus dem Kopf geschlagen hatte. Es war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ganz anders als alle Küsse, die er in seinem fünfzehnjährigen Junggesellendasein gesammelt hatte. Es war die Vergütung, der Lohn dafür, eine und nur eine geliebt zu haben, seit sie einander vor vierzehn Jahren in einer Vorlesung kennengelernt hatten. Vor vierzehn Jahren! Er erinnerte sich klarer daran als an das gestrige Mittagessen. Fünf Minuten verspätet war er in den Hörsaal gestolpert und vor einer hübschen Blonden auf einen Klappstuhl gefallen. Beim Herunterklappen des Sitzes hatte er die Zehen der Frau eingeklemmt, sie hatte ihre Füße auf dem Stuhl gehabt. Sie hatte aufgequietscht, und Håkon hatte sich stotternd entschuldigt, hatte sich in Lachen und Applaus der anderen gekrümmt. Als er sich dann sein Opfer ansah, hatte eine Verliebtheit von ihm Besitz ergriffen, aus der er sich nie mehr hatte befreien können. Kein einziges Mal hatte er etwas gesagt. Sein geduldiges Warten war weh und traurig gewesen, er hatte Karens Liebhaber kommen und gehen sehen. Und seine Resignation hatte ihn zu der Erkenntnis gebracht, daß er Frauen ein oder zwei Monate lang interessieren konnte, solange der Reiz des Neuen die Spiele im Bett einigermaßen witzig machte. Mehr war nicht möglich. Nicht mit anderen Frauen.
    Passiv saß er einige Sekunden da, aber nach und nach wurde der endlos lange Kuß zu einer gegenseitigen Angelegenheit. Sein Mut wuchs, und seine Hände waren nicht mehr hilflos; er streichelte ihren Rücken und sie spreizte die Beine, damit sie besser sitzen konnte.
    Sie liebten sich stundenlang. Eine seltsam nahe, dichte

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