Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
nicht, was sie weiß, aber vermutlich weiß sie etwas. Das glaubt jedenfalls die Polizei. Wenn du recht hast und sie nichts wissen, dann bedeutet das lediglich, daß sie noch nicht geplaudert hat. Wir wissen nicht, wie lange sie das durchhält.«
    Lavik hatte nicht viel dazu zu sagen, und seine kindliche Begeisterung verpuffte ein wenig. »Sie können sich irren«, meinte er zaghaft. »Vielleicht irrt sich die Polizei. Vielleicht weiß sie gar nichts. Sie und der Adjutant haben während des ganzen Studiums aneinandergeklebt wie Hemd an Arsch. Ich wette, daß sie ihm alles erzählt hätte, wenn es etwas zu erzählen gäbe. Da bin ich mir fast sicher.«
    Er fühlte sich schon wieder obenauf, aber der Ältere war nicht überzeugt.
    »Karen Borg ist ein Problem«, erklärte er nachdrücklich. »Sie ist und bleibt ein Problem.«
    Sie schwiegen einige Sekunden, dann beendete der Ältere das Gespräch. »Ruf mich nie mehr an. Nicht aus einer Zelle, nicht per Mobiltelefon. Ruf nicht an. Geh den üblichen Weg. Ich werde jeden zweiten Tag nachsehen.«
    Er warf den Hörer auf die Gabel. Lavik zuckte am anderen Ende der Leitung zusammen, der Knall tat ihm im Ohr weh. Sein Magengeschwür meldete sich. Er zog eine Portionspackung von seinem Magenmittel aus der Tasche, biß den Verschluß ab und saugte den Inhalt auf. Ein weißer Belag zog sich über seine Lippen und würde für den Rest des Tages dort bleiben.
    Schon nach zehn Sekunden fühlte er sich besser. Er sah sich nach beiden Seiten um und verließ die Telefonzelle. Die Freude über den Erfolg bei der Polizei hatte sich gelegt, und er rülpste auf dem ganzen Weg zurück in seine Kanzlei.

DONNERSTAG, 29. OKTOBER
    Gier, dachte er. Gier ist die ärgste Feindin des Verbrechens. Mäßigung ist der Weg zum Erfolg.
    Es war bitter kalt, und hier oben in den Bergen lag schon seit Wochen Schnee. Er hatte in Dokka die Winterreifen montiert, nachdem er zweimal auf die Gegenspur geschlittert war. Trotzdem machte ihm der steile, langgezogene Hang auf dem letzten Kilometer bis zur Hütte Probleme. Solche Schwierigkeiten hatte er bisher erst einmal gehabt, und dabei befand die Hütte sich schon seit über zwanzig Jahren im Familienbesitz. Lag es an der Glätte, oder spielten seine Nerven ihm einen Streich? Auf dem kleinen Parkplatz stand kein Auto, er konnte die Umrisse der vier Hütten nur ahnen. Keine menschliche Lichtquelle war zu sehen, aber der Mond half ihm, als er die zweihundert Meter vom Parkplatz zur Hütte auf Schneetellern zurücklegte. Seine Hände waren eiskalt, und ihm fiel zweimal der Schlüssel in den Schnee, ehe er endlich die Tür öffnen konnte.
    Es roch muffig und eingesperrt. Er schloß hinter sich ab, obwohl er einsah, daß das nicht nötig war. Es war schwierig, den Docht der Petroleumlampe zum Brennen zu bringen, offenbar war kein Petroleum mehr da, und der Docht war in der klammen Luft feucht geworden. Nach einigen Versuchen wurde es endlich hell, aber die Rußflocken wurden in bedrohlichen Mengen zur Decke hochgewirbelt. Das Sonnenenergieaggregat lieferte keinen Strom, und er begriff nicht, wieso nicht. Er befestigte die Taschenlampe an der Decke, zog seine Jacke aus und streifte sich einen dicken Isländerpullover über den Kopf.
    Eine Stunde später war alles in Ordnung. Der Petroleumbrenner verweigerte den Dienst, und schließlich machte er sich statt dessen ein gutes altmodisches Kaminfeuer. Es war zwar alles andere als warm im Zimmer, vor allem, weil er eine halbe Stunde lang gelüftet hatte. Aber das Feuer prasselte, und der Schornstein schien damit fertig zu werden. Der Gasherd tat seine Pflicht, und er gönnte sich eine Tasse Kaffee. Er beschloß, seine wichtige Aufgabe aufzuschieben, bis es in der Hütte warm genug war. Seine Arbeit würde naß und kalt sein. In einem Korb lag ein ganzer Stapel Comics aus den sechziger Jahren, er fischte einen heraus und blätterte mit klammen Fingern darin herum. Er hatte ihn schon hundertmal gelesen, aber zum Zeitvertreib war er immer noch geeignet. Die Unruhe quälte ihn.
    Es wurde Mitternacht, ehe er sich wieder anzog. Er suchte sich im Kabuff einen Overall, und die alten derben Stiefel saßen noch immer gut; es war dreißig Jahre her, daß er sie vom Militär hatte mitgehen lassen. Der Mond hing hochschwanger am Himmel, und vorerst war seine Taschenlampe überflüssig. Über einer Schulter trug er ein aufgerolltes Seil, in der Hand hielt er eine Schneeschaufel aus Aluminium. Die Schneeteller lehnten an der

Weitere Kostenlose Bücher