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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Hüttenwand, die vierzig Meter zum Brunnen schaffte er auch ohne.
    Das Brunnenhaus ragte wie ein Wegweiser unterhalb der Hütte über einem Gelände auf, das fast schon als Moor bezeichnet werden mußte. Sie waren vor dem Wasser gewarnt worden, hatten aber niemals Probleme damit gehabt. Das Wasser war immer frisch und süß und änderte je nach Jahreszeit seinen Geschmack. Vier dicke Stöcke waren wie zu einem spitzen, vereinfachten Samizelt zusammengebunden. Darauf waren zu einem A zurechtgeschnittene Furnierplatten genagelt, eine davon hatte eine Öffnung. Eine schlichte Tür war mit einem kleinen Hängeschloß versperrt. Ursprünglich war sie so klein gewesen, daß nur der Eimer hindurch paßte, aber vor vier Jahren hatte er sie erweitert. Jetzt konnte ein Mann zur Not in das kleine Brunnenhaus kriechen, was die Familie immer für unnötig gehalten hatte. Aber es war jetzt unleugbar leichter, das Wasser hochzuziehen.
    Er brauchte fast eine Viertelstunde, um die Tür so weit vom Schnee zu befreien, daß sie sich öffnen ließ. Der Mann schwitzte und keuchte. Er sicherte die offene Tür mit Schnee, dann robbte er ins Brunnenhaus. Dessen unterer Rand umgrenzte etwas über einen Quadratmeter, nach oben hin spitzte sich das Holzwerk so rasch zu, daß er nicht aufrecht stehen konnte. Mit einiger Mühe konnte er die Taschenlampe aufs Wasser richten. Es war stockfinster und still. Eine alte Schulterverletzung klagte über seine gebückte Haltung, und vor Anstrengung entschlüpften ihm ein Furz und ein Stöhnen. Schließlich gelang es ihm, den schmalen Lichtkegel auf den kleinen Vorsprung fünfzig Zentimeter tiefer gleich bei der Wasseroberfläche zu richten. Vorsichtig setzte er den Fuß darauf und fand schließlich Halt. Er wiederholte diese Übung auf der gegenüberliegenden Seite, und endlich stand er da, breitbeinig, aber einigermaßen sicher und aufrecht. Er zog die Handschuhe aus und legte sie auf einen Querbalken gegenüber. Danach krempelte er sich soweit wie möglich die Ärmel des Overalls hoch. Das war schwierig, der Overall war zu dick, seine Finger waren klamm. Schließlich pfiff er darauf. Er hockte sich hin und streckte den rechten Arm in das eiskalte Wasser, während er sich mit der Linken an der Eimeraufhängung anklammerte. Nach wenigen Sekunden war sein Arm taub, und er spürte, wie sein Herz härter schlug, es tat ihm weh in der Brust. Seine Finger tasteten über die Brunnenwand eine Eile unter der Wasseroberfläche. Er fand des Gesuchte nicht. Er fluchte und mußte den Arm zurückziehen. Es half ein wenig, den Ärmel herunterzukrempeln, er rieb sich über die Hand und hauchte die erfrorene Haut an. Nach einigen Minuten faßte er Mut zu einem weiteren Versuch.
    Nun hatte er mehr Glück. Schon nach wenigen Sekunden bekam er einen losen Stein zu fassen und zog ihn vorsichtig aus dem Wasser. Sein schweißnasser Rücken, sein eiskalter Arm und sein schwer hämmerndes Herz versuchten vereint, ihn zum Aufgeben zu überreden. Er biß die Zähne zusammen und steckte noch einmal die Hand in den Brunnen. Diesmal wußte er den Weg, und behutsam zog er einen Gegenstand heraus, der so groß war wie ein kleiner, aber dicker Diplomatenkoffer. Ein Handgriff an einem Ende ragte ins Wasser, und der Mann vergewisserte sich, ob er alles im Griff hatte, ehe er den Koffer vorsichtig aus seinem Versteck zog.
    Als der Koffer, der sich als große Schatulle entpuppte, sich der Oberfläche näherte, konnten seine tauben Finger nicht mehr. Der Mann verlor das Behältnis aus dem Griff und machte einige verzweifelte Armbewegungen, um es wieder zu fassen zu kriegen. Dadurch verlor er die Balance, und sein linker Fuß glitt vom Vorsprung. Der Mann verschwand ungefähr gleichzeitig mit der Schatulle im Wasser.
    Er sah nichts; Ohren, Mund und Nase füllten sich mit Wasser. Sein schwerer Overall saugte sich rasch voll, und er spürte, wie Kleider und Stiefel ihn nach unten zogen. Er war völlig außer sich. Seine Angst galt nicht ihm selbst, sondern seiner Beute. Überraschend schnell bekam er die Schatulle, die durch seinen Körper am Sinken gehindert wurde, zu fassen. Mit gewaltiger Kraftanstrengung konnte er sich zum anderthalb Meter höher gelegenen Türrand ausstrecken und die Schatulle in den Schnee werfen. Dann überkam ihn wirklich die Angst. Er fuchtelte mit den Armen, merkte jedoch schon, daß seine Bewegungen träge wurden, Arme und Beine gehorchten seinen Befehlen nicht mehr. Trotzdem konnte er endlich die Aufhängung packen

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