Blinde Goettin
italienischen Restaurant gleich um die Ecke. Hier waren sie ungestört. Ein bildschöner Knabe mit rabenschwarzem Haar führte sie an den Tisch, knallte ihnen eine Speisekarte hin und fragte mechanisch nach ihren Getränkewünschen. Nach kurzem Zögern bestellten sie beide ein Bier. Es erschien in Rekordzeit auf dem Tisch. Håkon leerte das halbe Glas auf einen Schluck. Das Bier tat gut, der Alkohol traf ihn sofort. Oder vielleicht zuckte einfach nur sein eingesunkener Magen zusammen!
»Das geht zum Teufel«, sagte er, fast munter, und wischte sich den Schaum von der Oberlippe. »Ha, das geht nie im Leben gut. Die können sofort rauslatschen und weitermachen. Laß dir das gesagt sein. Mein Fehler!«
»Mach dich nicht schon im voraus verrückt«, sagte Hanne, ohne verhehlen zu können, daß sie seinen Pessimismus teilte. Sie schaute auf die Uhr. »Wir haben noch ein paar Stunden, ehe wir eventuell einsehen müssen, daß wir verloren haben.«
Lange saßen sie schweigend da, mit vagen, abwesenden Blicken. Ihre Gläser waren leer, als das Essen serviert wurde. Spaghetti. Sie sahen gut aus und waren feuerheiß.
»Es ist nicht deine Schuld, wenn das schiefläuft«, sagte sie und versuchte, sich die langen weißen Fäden mitsamt der Tomatensoße einzuverleiben. Mit einem kurzen »Entschuldigung« hatte sie sich die Serviette in den Ausschnitt gestopft, um ihren Pullover vor dem unumgänglichen Kleckern zu schützen. »Und das weißt du«, fügte sie hinzu und musterte sein Gesicht. »Wir haben alle Mist gebaut, wenn das hier schiefgeht. Alle wollten einen Haftbefehl beantragen, niemand kann dir Vorwürfe machen.«
»Mir Vorwürfe machen?« Sein Löffel knallte auf den Tisch, die Soße spritzte nur so. »Mir Vorwürfe machen? Natürlich werden die mir Vorwürfe machen. Weder du noch Kaldbakken, die Polizeipräsidentin oder sonstwer hat da drinnen stundenlang ins Förmchen geschissen. Ich war das! Ich hab’ das große Ei gelegt! Du solltest mir Vorwürfe machen!« Plötzlich war er satt und schob seinen halbleeren Teller weg, fast angewidert, als ob hinter den Miesmuscheln eine gemeine Haftentlassung auf der Lauer läge. »Ich glaube, ich hab’ vor Gericht noch nie so schlechte Arbeit geleistet. Das mußt du mir glauben, Hanne.« Er atmete schwer und bat den geschniegelten Knaben um ein Mineralwasser. »Wahrscheinlich hätte ich bei einem anderen Verteidiger besser abgeschnitten. Bloch-Hansen macht mich unsicher. Sein korrekter, sachlicher Stil bringt mich aus dem Konzept. Vielleicht hatte ich mich auf ein wildes, offenes Gefecht vorbereitet. Wenn mein Gegner statt dessen elegant mit dem Degen ficht, stehe ich da wie ein Kartoffelsack.« Er rieb sein Gesicht, lächelte und schüttelte den Kopf.
»Versprich mir, nicht schlecht über diese Vorstellung zu sprechen«, bat er.
»Das verspreche ich auf Ehre und Gewissen«, schwor Hanne und hob die rechte Hand. »Aber so schlecht warst du nun auch wieder nicht. Übrigens«, fügte sie hinzu, um das Thema zu wechseln, »warum hast du diesem Zeitungsmenschen von einer möglichen dritten Person erzählt, die sich noch auf freiem Fuß befindet? Das sah ja fast so aus, als hätten wir eine konkrete Person im Visier. Ich nehme doch an, daß er das von dir hat?«
»Weißt du noch, wie schockiert ich darüber war, wie du Lavik beim letzten Verhör vor der Festnahme behandelt hast?«
Eine tiefe Furche über ihrer Nasenwurzel deutete darauf hin, daß sie intensiv nachdachte. »Na ja, nein«, sagte sie schließlich und wartete gespannt.
»Du hast gesagt, daß Leute, die Angst haben, Fehler begehen, deshalb wolltest du Lavik Angst einjagen. Jetzt bin ich eben mal der Buhmann. Vielleicht ist es ein Schuß in den Ofen, aber vielleicht sitzt auch da draußen jetzt ein Mann und hat Angst. Gewaltige Angst.«
Wenige Sekunden später wurde auf Håkons diskretes Winken hin die Rechnung gebracht. Sie griffen beide danach, Håkon war schneller.
»Kommt nicht in Frage«, protestierte Hanne. »Entweder bezahle ich alles, oder ich übernehme die Hälfte.«
Mit flehendem Blick preßte Håkon die Rechnung an seine Brust. »Ich möchte mich heute wenigstens einmal als Mann fühlen«, bat er leise.
Das war nicht sehr viel verlangt. Er bezahlte und rundete die Summe mit drei Kronen Trinkgeld auf. Der Junge mit den Ölhaaren entließ sie lächelnd und mit dem Wunsch, sie bald wiederzusehen, in die Dunkelheit. Es schien nicht gerade einer seiner Herzenswünsche zu sein.
Die Müdigkeit hatte
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