Blinde Seele: Thriller (German Edition)
wehr?«
»Ganz und gar nicht«, entgegnete Grace. »Aber ich möchte jetzt gerne zurück in mein Hotel.«
»Um mit Ihrem Mann zu telefonieren.«
»Ja.«
Grace hätte um ein Haar hinzugefügt: »Und mit meinem kleinen Sohn«, ließ es dann aber. Schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit, nahm sie an. Fremden Leuten persönliche Informationen anzuvertrauen, konnte ins Auge gehen. Vor allem bei einem Möchtegern-Fotojournalisten.
*
Thomas Chauvin hatte ihr ein Taxi bestellt und um die Rechnung gebeten. Grace zückte ihre Amex Card.
»Nein.« Chauvins Miene war entschlossen. »Ich verspreche Ihnen, es ist das letzte Mal, dass ich es erwähnen werde, aber ganz gleich, ob die Straßenbahn rechtzeitig gebremst hätte – Sie haben versucht, einem Fremden das Leben zu retten, und das ist ein kleines Abendessen mehr als wert.«
Es fiel ihr schwer, sich darüber zu streiten, und danach war sie etwas entspannter, und zehn Minuten später begleitete Chauvin sie zu ihrem Taxi.
»Danke fürs Essen«, sagte sie. »Das war sehr nett von Ihnen.«
»Danke, dass Sie mich gerettet haben, Grace.« Chauvin öffnete ihr die Tür. »Zufällig bedeutet mir der Name etwas ganz Besonderes.«
Grace hatte weder die Zeit noch den Wunsch, ihn zu fragen, warum.
Er schloss die Tür, und das Taxi fuhr los.
*
Chauvin sah ihr noch einen Moment nach, dann zückte er sein iPhone, wählte seine Fotos an und schaute auf das Display.
Auf eines der Fotos von Grace, die er an diesem Tag aufgenommen hatte.
Das Foto, als Grace und ihre Kollegen das Restaurant verlassen hatten.
Auf diesem Foto schaute sie zu ihm herüber.
Gott, sie war schön.
Thomas Chauvin lächelte und schob das Handy in die Tasche zurück.
26.
»Wie geht es ihr?«, fragte Sam Becket seinen Vater.
Sam hasste die Vorstellung, dass Mildred Angst hatte, denn ihre persönliche Beziehung reichte zurück bis zu den Tagen, als Mildred eine Obdachlose gewesen war, die ihm hin und wieder ein paar Informationen von der Straße zukommen ließ.
»Sie ärgert sich über sich selbst«, sagte David. »Und sie gibt sich alle Mühe, ruhig zu erscheinen, hat aber schreckliche Angst vor der Operation.«
»Habt ihr schon einen Termin?«
»Noch nicht.« David schüttelte den Kopf. »Der Arzt möchte sie zweimal operieren, jeweils nur ein Auge. Er wollte die verschiedenen Methoden mit ihr besprechen, aber sie war nicht bereit dazu, deshalb müssen wir leider noch einmal hin.«
»Dieser Adams scheint ja eine richtige Koryphäe zu sein«, bemerkte Sam.
»Er hat einen erstklassigen Ruf, auch wenn Mildred sich nicht für ihn erwärmen kann.«
»Um den Überbringer der schlechten Botschaft zu bestrafen?«, fragte Sam. »Oder steckt mehr dahinter?«
Sam hatte immer schon einen gesunden Respekt vor Mildreds Instinkten gehabt.
»An seiner Empathie könnte er durchaus noch ein bisschen arbeiten«, räumte David ein. »Aber meine Kontakte haben mir versichert, dass er ein verdammt guter Arzt ist. Eine solche Operation ist ein Klacks für ihn.«
»Und wenn ihr zu einem anderen Arzt geht?«, fragte Sam.
»Das möchte Mildred nicht. Sie sagt, sie will das alles nicht noch einmal über sich ergehen lassen.«
Sam nickte. »Kann ich verstehen. Na ja, bald hat sie’s hinter sich. Ist ja keine große Sache.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte David.
*
Als Grace anrief, berichtete er ihr das Neueste von der Familie. Dann sprachen sie über den Ta g.
»Ich hatte einen richtig aufregenden Abend«, erzählte Grace. »Erst war ich im Kino, dann habe ich verhindert, dass ein Mann von einer Straßenbahn überfahren wird, und dann bin ich mit ihm essen gegangen, weil er mich aus Dankbarkeit eingeladen hatte.«
»Wirklich?«
Sie hörte den verwunderten Beiklang in Sams Stimme.
»Er war jung genug, um mein Sohn sein zu können«, beschwichtigte sie ihn, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. »Er hatte einen Schock erlitten und brauchte einen Drink. Und ich musste einen Happen essen. Er ist Fotograf und will gerne Fotojournalist werden. Er war sehr interessiert an deinem Beruf.«
»Ach ja?«
»Kein Bange, ich habe nichts erzählt, nur dass ich zurück zu meinem Hotel wollte, um mit dir zu reden.«
»Okay, du hast mich überzeugt«, sagte Sam. »Aber der Mann dachte bestimmt, sein Geburtstag sei dieses Jahr früher gekommen, nachdem ihm von einer sexy Blondine das Leben gerettet wurde.«
»Ich habe dir doch gesagt, er ist jung.«
»Auch junge Männer haben Augen im Kopf.«
»Ja,
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