Blinde Seele: Thriller (German Edition)
Grace an. »Sie waren unglaublich schnell.«
Grace musste an das vergangene Jahr denken, als sie ein Leben ausgelöscht hatte. Wie so oft.
Vielleicht war das der Grund, weshalb sie eben das Gefühl gehabt hatte, keine andere Wahl zu haben.
Der junge Mann ging zum Straßenbahnfahrer, um mit ihm zu reden, und die Neugierigen zerstreuten sich. Dann kamen beide Männer zu Grace.
»Der Fahrer muss sich vergewissern, dass wir nicht verletzt sind«, sagte der junge Mann. »Für seinen Bericht.«
Grace lächelte den Fahrer an, gab ihm zu verstehen, dass mit ihren Armen und Beinen alles in Ordnung sei, und bedankte sich bei ihm. Dann schaute sie zurück zu dem jungen Mann, der seine Einkaufstüten aufsammelte, ohne dass sein Bein ihm noch Schwierigkeiten zu machen schien.
»Jetzt scheint mit Ihnen alles wieder in Ordnung zu sein«, sagte Grace.
»Abgesehen von meiner Würde«, erwiderte er.
Der Fahrer, der sich wieder halbwegs beruhigt hatte, verabschiedete sich von ihnen und ging zurück zu seiner Straßenbahn und den wartenden Fahrgästen.
»Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht«, sagte der junge Mann, »aber ich könnte einen Drink vertragen.«
»Ich werde auch einen Schluck trinken, wenn ich zurück im Hotel bin«, entgegnete Grace.
»Möchten Sie mich nicht begleiten? Ich bin Ihnen was schuldig. Hier in der Nähe gibt es ein gutes Restaurant, da könnten wir einen Schluck trinken.«
Grace überlegte, Sam anzurufen. »Ich sollte wirklich zurück zu meinem Hotel.«
»Ich werde Sie nicht lange aufhalten«, sagte der junge Mann.
Er sah sehr blass aus. Vielleicht stand er noch immer unter Schock.
»Also gut«, sagte Grace.
24.
David und Mildred hatten das Miami General vor einer Weile verlassen und steckten jetzt in dichtem Verkehr.
Mildred schwieg. Ihr Blick war noch verschwommener als beim letzten Mal, sodass ihr ein bisschen schlecht war.
»Ich wünschte, du würdest irgendwas sagen«, sagte David.
Mildred holte tief Luft. »Sag mir bitte noch mal, warum du mit mir zu diesem Mann gegangen bist.«
»Ich nehme an, du mochtest ihn nicht?«
»Bitte, sag es mir.«
»Weil er einer der Besten ist«, erklärte David. »Weil seine Klinik einen guten Ruf hat. Die Infektionsrate geht praktisch gegen null.« Er warf einen kurzen Blick auf Mildred. »Und weil er gern bereit ist, die Operation unter Vollnarkose durchzuführen und dich über Nacht dazubehalten. Ich finde, das hört sich gut an, weil es für dich viel weniger Stress bedeuten wird.«
»Ich weiß, ich kann von Glück reden, dass es nur grauer Star ist.« Mildred hielt einen Moment inne und dachte an eine Bemerkung des Arztes über den Wert guter Ernährung und eines guten Lebensstils. »Meinst du, mein altes Leben könnte der Grund für die Krankheit sein?«
Ihre Jahre auf der Straße erschienen auf einmal in ganz neuem Licht.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte David. »Grauer Star ist sehr häufig.«
»Ich weiß. Das hat Dr. Adams auch gesagt.«
»Wie unsympathisch war er dir?«
»Na ja … jedenfalls war ich nicht gerade begeistert«, sagte sie.
»Dann werden wir einen anderen Arzt suchen«, entschied David.
»Und das alles noch einmal durchmachen?« Mildred schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall.«
»Du würdest es nicht noch einmal durchmachen müssen «, sagte David. »Dafür würde ich schon sorgen.«
»Trotzdem«, sagte Mildred. »Ich benehme mich nur wieder albern. Ich bin sicher, Dr. Adams ist ein großartiger Augenarzt, sonst hättest du ihn mir kaum empfohlen.«
»Das stimmt«, gab David ihr recht. »Aber letztlich ist es deine Entscheidung.«
Beide schwiegen eine Zeit lang.
»Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst«, sagte David schließlich.
»Ach, das ist doch nichts.« Mildred winkte ab. »Verglichen mit einer echten Krankheit ist es gar nichts.«
»Dir macht es trotzdem ganz schön zu schaffen, das sehe ich doch.«
»Ich werd’s überleben«, sagte Mildred.
25.
Endlich hatte der junge Mann einen Namen.
Thomas Chauvin.
Er kam aus Straßburg, dem offiziellen Sitz des Europäischen Parlaments, nahe der deutsch-französischen Grenze.
Das Restaurant hieß Sterne Foifi. Nachdem beide einen Whisky getrunken hatten, war Grace der Verlockung der köstlichen Düfte erlegen. Thomas Chauvin hatte ihnen das geschnetzelte Kalbfleisch mit Rösti für zwei Personen bestellt, eine der Spezialitäten des Hauses, dazu eine Karaffe Schweizer Weißwein.
Nun zückte Grace ihr Handy und sah nach ihren
Weitere Kostenlose Bücher